Von Breslau nach Krakau
Für die ca. 400 Kilometer Wroclaw – Krakau finden wir auf dem Internet diverse Vorschläge mit Beschrieb und einen GPS-Track. Vor allem der Grossraum um die Industriestadt Katowice (Kattowitz) ist extrem dicht besiedelt. Mehr als ein halbes Dutzend weitere grosse Orte machen wir auf der Karte aus. Ideal wäre, die Region in grossem Bogen zu umfahren.
Ein wahres Gewirr an Strassen in allen Grössen machen eine Streckenwahl zusätzlich schwierig. Welche Strasse nehmen? Wir beraten möglichen Varianten, wählen, verwerfen, schlagen mit dem Finger auf der Karte Bogen nach Norden und Süden. Die Skepsis vor grossen Strassen, viel Industrie und wenig Natur bleibt. Wir nehmen die naheliegendste Variante, laden den Track vom Internet herunter und sind sicher, schöne und interessante Streckenabschnitte unter die Räder zu bekommen. Es wird aufregender, als wir ahnen . . .
Das Wetter bleibt kühl, gegen Abend und nachts gibt’s meist etwas Regen, dafür bläst uns der Wind kräftig vor sich her. Das viele Nass lässt die Pilze schiessen, was die Polen als passionierte Sammler in Scharen in die Wälder treibt. Pit MUSS sich auf die Strasse konzentrieren und Schirmlinge, Steinpilze, Eierschwämme, Maronen . . . den Würmern und Schnecken und polnischen Sammlern überlassen. Das tut einfach weh . . .
Die Strecke ist nie langweilig, obwohl sich Felder und Wald häufig abwechseln. Unser Track orientiert sich offenbar an bestehenden Radwegen, wie verschiedene Markierungen vermuten lassen. Neuer Teerbelag, Holperpiste, Kopfsteinpflaster, Wald- und Wiesenwege – jeden Tag eine kunterbunte Mischung exklusiv für uns. Wenn das Navi „unbefestigte Strasse“ anzeigt, wird’s besonders lustig. Mehr See als Waldweg, fiese Schlammlöcher, hohes Gras, Sand; der Regen hat ganze Arbeit geleistet. Die Ritzel der Velos sind nach 14`000 km Tour stark abgefahren und zwingen zusätzlich zum gefühlvollen Pedalen. Zum Glück gab es nach den drei Platten in Dänemark keine weiteren Pannen.
Am Montag, 23. September, schwingen wir uns in Opole nach einer regnerischen Nacht in den Sattel. Regen und ein paar Sonnenstrahlen wechseln sich alle Viertelstunde ab. Regenzeug anziehen macht keinen Sinn. Am Stadtrand führt uns der GPS-Track auf einen schmalen Trampelpfad am Wasser, Brennesseln und Farn stehen meterhoch Spalier. Nach einer Bahnunterführung im Nirgendwo mündet der Pfad in einen Fahrweg, oder was davon noch übrig ist. Vorsichtig tasten wir uns durch riesige Schlammseen vorwärts, nie wissend, wie tief die Krater sind. Einen halben Kilometer im Schritttempo später dröhnt der Übeltäter vor uns. Ein Bagger frisst sich durch den Weg, Lastwagen machen die Sauerei komplett, natürlich genau auf unserer Route. So geht das nicht. Gibt es einen Weg durch den Rangierbahnhof rechts von uns zurück zur Hauptstrasse? Minuten später sitzen wir mitten zwischen den Geleisen auf einer Bahnbaustelle fest. Drei Gleise hinter und vier Geleise vor uns. Die Arbeiter bei der Znünipause schauen, als sähen sie eine Fatamorgana. Mit den schweren Rädern über die Fahrstrecken trauen wir uns dann doch nicht, also zurück zum Anfang, es hilft alles nichts.
Auf der Hauptstrasse Richtung Krakau (ist eigentlich nur eine gelbe Strasse) rauscht der Verkehr an diesem Montagmorgen gewaltig. Auf drei PW`s kommt ein Brummi von der langen Sorte mit fünf Achsen. Irgendwo dazwischen zwei Velöler, ein Auge immer auf den Rückspiegel geheftet und hoffend, dass alle ausgeschlafen sind heute Morgen. Das kostet Nerven und strengt unheimlich an. So oft wie heute haben wir die Fäkaliensprache auf der ganzen fast jährigen Tour nie bemüht. Es gibt keine schlaue Alternative zum Fahren. Um den Mittag und einen kleinen Pass später schieben wir auf einer nassen Parkbank etwas Brot und Wurst zwischen die Zähne, spülen mit einer Petflasche den gröbsten Schlamm von den Rädern und pedalen rasch weiter. Genau in unserer Richtung ist der Himmel pechschwarz. Die Sonne im Rücken zaubert zusammen mit dem heftigen böigen Wind eine Stimmung, etwa so müsste der Weltuntergang aussehen. Wir fahren wieder auf unserem Track, der, endlich, von der Strasse in einen grossen Forst abzweigt. Kein Teerbelag mehr, ab und zu Pfützen, schmale Fahrspuren und eine plötzliche, schon fast unheimliche Stille zwischen den hohen Tannen. Gemäss Navi führt unsere Route schnurgerade sieben Kilometer durch den Wald. Mutterseelenallein, die Ruhe geniessend, drücken wir unsere Velospuren in den Matsch. Weit voraus kommt uns ein grosses Fuhrwerk entgegen. Beim Näherkommen entpuppt es sich als alter Traktor, der zwei mit grossen Heuballen beladene Anhänger im Schritttempo zieht. Gut fünfzig Meter vor uns fährt das Gespann über eine Wegkreuzung um dann etwas nach rechts, Richtung eines leichten Grabens, auszuweichen und uns vorbei zu lassen. Vermutlich ist die Böschung sehr nass und instabil, auf jedenfall neigt sich der zweite Anhänger stark zum Graben und die Heuballen rutschen gefährlich auf die Seite. Wir fahren rasch vorbei, der zweite Bauer springt händeringend vom ersten Anhänger herunter während der Fahrer versucht, mit durchdrehenden Rädern das Fuhrwerk aus der gefährlichen Schräglage zu bringen, was die Situation noch verschlimmert. Wir können nicht helfen, fahren nach einer Weile weiter. Keine Ahnung, warum der Fahrer nicht auf der Kreuzung angehalten hat. Vorbeikommen wäre ohne Probleme möglich gewesen. Nein, das haben wir nicht gewollt, dass Rücksichtnahme so weit geht. Wir hoffen, dass die beiden Bauern Hilfe organisieren konnten.
Der Weg führt später über Felder, ist mehr und mehr zugewachsen, sein Verlauf kaum mehr zu erkennen. Endlich kommt die Strasse in Sicht. Nein, wir glauben es nicht. Baumaschinen versperren den Weg, Bagger röhren, vor uns wird neuer Strassenbelag eingebaut. Auch hier grosse Rücksichtnahme. Wir werden ohne Probleme durchgelassen und können mit guten Wünschen endlich normal fahren. Wenigstens die nächsten Kilometer. Kurz vor Gliwice dann noch das Dessert von heute. Feines Kopfsteinpflaster, diesmal in Betonausführung. Pit meinte zu spüren, dass noch irgendwas fehlt. Heute haben wir wirklich das ganze Programm, nichts bleibt uns erspart.
In Przyszowice, in der Nähe von Gliwice (Auschwitz), finden wir ein Zimmer im familiären und gemütlichen Agroturystika „Zur alten Gärtnerei“ (www.ostoberschlesien.de, sehr zu empfehlen!). Unsere nette polnisch/deutsche Gastgeberin serviert uns als Willkommensgruss Bohnenkaffee und selbstverständlich dürfen wir den Frühstücksraum und die Küche für das Nachtessen benützen.
Nach 101 Kilometer und fast 7 Std. im Sattel ist die Luft draussen. Zum Glück sind nicht alle Tage so „aufregend“ . . .
Heute Sonntag, 29. September 2013, sind wir genau ein Jahr unterwegs.
Krakau
Die Stadt an der Weichsel wird als die schönste in Polen bezeichnet. Wir finden kaum zehn Fussminuten von der Altstadt ein günstiges Appartement im dritten Stock, ohne Lift. Die Velos dürfen problemlos mit in die kleine Wohnung, sicher ist sicher. Krakau ist mit ca. 760`000 Einwohnern recht gross und besitzt sehr viele Baudenkmäler, da die Stadt im letzten Krieg wenig Beschädigungen erleiden musste. Uns gefällt es auf Anhieb. Das ganze Jahr über soll es viele Touristen geben. Das ist jetzt im Herbst auf jedenfall so. Die Partnerstadt von Solothurn ist durch Papst Johannes Paul II. noch populärer geworden, der hier als Bischof und Kardinal wirkte. Der polnische Papst wird sehr verehrt. Nicht nur Denkmäler und Strassennamen erinnern an ihn, es gibt ihn auch auf Papier, als Porzellanfigur oder gemalt, eingraviert, vergoldet, gestickt und zum Umhängen.
Tief beeindruckt hat uns das Museum in der alten Emailfabrik, in der Oskar Schindler als Direktor wirkte und wo er im Krieg über 1`000 Juden vor dem sicheren Tod gerettet hat. Steven Spielberg hat hier 1993 einen grossen Teil seines Films „Schindlers Liste“ gedreht. Sehenswert und äusserst interessant ist das jüdische Viertel im Stadtteil Kazimierz, besonders die alte Synagoge mit Museum. Die alte Synagoge ist die älteste in Polen und war vor dem Zweiten Weltkrieg geistiges Zentrum der Juden in Krakau. Bis 1939 lebten gegen 65`000 Juden in der Stadt, damals ein Viertel der Bevölkerung.
Pommern und Schlesien
Von Pommern im Norden pedalen wir im Bogen nach Schlesien. Schlesien erstreckt sich beidseits der Oder von der Lausitz in Ostdeutschland im Westen bis in die Gegend von Kattowitz in Polen im Osten. Im Grenzgebiet zu Tschechien schieben die Sudeten mit dem bekannten Riesengebirge einen markanten Riegel zwischen Polen und das Nachbarland. Leider reicht die Zeit nicht, die Region der Sudeten auf dem Velo zu erkunden. Muss ein interessanter Landstrich mit vielen Sehenswürdigkeiten sein. Vielleicht später mal.
Fast auf jedem Kilometer über Nebenstrassen und durch kleine Siedlungen ist für uns die interessante aber auch leidvolle Geschichte der Region sicht- und spürbar. Mit enormem Aufwand gelingt es den Polen, viele Gebäude wieder in altem Glanz auferstehen zu lassen, Plätze und Strassen neu anzulegen, Kirchen zu restaurieren. Noch gibt es viel zu tun. Die Hinterlassenschaft von Krieg und Jahrzehnten Kommunismus sind nicht in einer Generation getilgt.
Seit zwei Tagen zieht der Himmel nachmittags zu. Die weiss-graue Watte verdeckt die Sonne vom Morgen und wird bis am Abend schwarz. Noch vermiest der starke Wind dem Regen den Spass – wie lange? Das Thermometer schafft trotz schütteln kaum 14°C, farbige Blätter wirbeln uns ins Gesicht. Es riecht verdächtig nach Herbst. Pit fährt noch in kurz. Vielleicht hat der Sommer erbarmen . . .
Nach Santok bei Gorzow (Landsberg), wo wir in einem „Agrotouristika“ übernachten (ca. 10`000 Bauernhöfe in Polen bieten zu günstigen Preisen einen Platz zum Zelten oder Mehrbettzimmer an) finden wir 66 Kilometer weiter in Lagow einen kleinen Zeltplatz mit Kochgelegenheit unter Dach. Zeltnachbarn gibt es weit und breit keine. Der Betreiber stellt uns Tisch, Stühle und Sonnenschirm neben das Zelt und wir sitzen trotz einsetzendem Regen im Trockenen und geniessen das Nachtessen. Die Nacht bleibt nass und am Morgen beim Einpacken der Trinkbecker ist Bea um die Erfahrung reicher, die jeder Hobbygärtner kennt: Schnecken lieben Bier über alles . . . Beim Zähneputzen grasen keine zehn Meter neben uns zwei Rehkitze, rasch sind die gruusigen, schleimigen Kriecher vergessen. Die Natur hat viele Gesichter.
Bei Zilona Gora (Grünberg) sehen wir sie wieder, die Oder. Noch mehr Fluss als Strom mäandert sie im natürlichen Bett durch die flache Ebene, geht ab und zu in die Breite, sehr zur Freude der vielen Sportfischer im Schilf. Das Wasser sieht für uns nicht überall so toll aus. Wir würden den Fisch doch lieber im Supermarkt kaufen.
Viele Strassen führen nach Wroclaw (Breslau). Meist hat Pit ein glückliches Händchen bei der Routenwahl. Die Qualität der Strassen reicht von ganz neu bis reiner Flickenteppich, zum Glück ohne riesige Krater wie in Moldawien oder der Ukraine. Trotzdem immer auf der Hut sein. Kopfsteinpflaster bleibt uns bei keiner Ortsdurchfahrt erspart. Es wird nie langweilig.
Zwanzig Kilometer vor Legnica lassen wir uns von einer schönen weissen Strasse (auf der Karte) verführen und landen prompt mitten im Wald. Solange es Fahrspuren hat und Fahren geht . . . also weiter. Der Weg steigt leicht an. Der Regen hat den feinen Sand ausgespült, sieht harmlos aus, für Veloreifen aber üble Pappe. Das werden lustige Kilometer. Was soll`s, nach fast einem Jahr Velofahren bringt uns nichts mehr so schnell aus der Spur.
Auf Nebenstrassen und Velowegen rollen wir ohne Zwischenfälle ins Zentrum von Wroclaw (Breslau). Ein weiteres Etappenziel ist erreicht. Wir freuen uns auf Ausspanntage und die geschichtsträchtige Hauptstadt von Schlesien.
Nein, mit Skandinavien kann man Polen nicht vergleichen. Vielleicht fühlen wir uns gerade darum wohl in dem Land, weil nicht alles so schön gepflegt, ja „gschläcket“ ist. Immer wieder gibt es Überraschungen verschiedenster Art. Eine tolle Strasse wird unvermittelt schmal und holprig und nach der nächsten Kurve zum Trampelpfad, Villen mit allem Luxus und daneben Bauruinen, grosse Orte auf der Karte entpuppen sich als Nester ohne Einkaufsmöglichkeit, teure Schlitten mit weiss-wie-viel PS rasen vorbei und später holpert uns eine schrottreife „Mühle“ ohne Stossstangen entgegen. Graue, schmutzige Nester ohne Charme, dafür ein nagelneuer Fussgänger- und Radstreifen über Kilometer vom Feinsten. In einem Land, wo nur Rad fährt, wer sich kein Auto leisten kann. Wer eine Portion Gelassenheit mitbringt, sich von Sprachproblemen nicht abschrecken lässt (oder polnisch spricht) und sich für Geschichte interessiert, der sollte Polen auf jeden Fall mal bereisen.
Breslau
In der 630`000 Einwohner grossen Stadt an der Oder wurde 2012 anlässlich der EM Fussball gespielt. Krakau und Breslau werden als die schönsten Städte Polens bezeichnet, also Grund genug, sie zu besuchen und einmal ohne Rad zu erkunden.
Ende Januar 1945 ist die bislang wenig beschädigte alte Universitätsstadt von angreifenden Russen und sich erbittert wehrenden Deutschen fast dem Erdboden gleich gemacht worden. Mehr als 43`000 Menschen kamen in den Tagen um, hunderte Baudenkmäler vielen in Schutt und Asche. Wer heute durch Gassen flaniert, Kirchen besucht und sich auf dem grossen Marktplatz einen Kaffee gönnt, kann den immensen Aufwand kaum ermessen, der für den Wiederaufbau der Stadt nötig war. Breslau ist nur eine von vielen Städten mit ähnlichem Schicksal.
2016 wird Wroclaw mit Donostia-San Sebastián in Spanien Kulturhauptstadt Europas.
Rügen, Usedom und wieder Polen
Die Fähre von Bornholm spuckt uns in Sassnitz auf deutschen Boden. Unser 21. Reiseland kennen und schätzen wir von früheren Radtouren. Die Schweizer Geniesser und Schleckmäuler treffen hier alte Bekannte wieder: Rügenwälder Teewurst, Spreewaldgurken, Köstritzer Schwarzbier, Sesam-, Mohn- und Vollkorn-Semmeln, feine Wurstwaren und, und, und . . . Das Sprichwort „Wer die Wahl hat, hat die Qual“ trifft den Nagel auf den Kopf – unsere Taschen sind einfach zu klein! Wir geniessen uns quer durch das grosse Angebot. Wer so schlemmt muss kräftig Kalorien verbrennen. Die fehlenden Steigungen gleicht der kräftige (Gegen)Wind aus und ab Stralsund massieren 30 Kilometer Kopfsteinpflaster Hintern und Bauch, lassen Arme und Hände verkrampfen und schiessen in den Rücken. Dafür ist die alte B96 mit ihren mächtigen Baumalleen bis Reinberg sehr reizvoll. Gemütlich holpern wir durch die schattige Laube und fühlen uns durch die vielen alten Riesen beschützt. Wir freuen uns schon jetzt auf Polen und seine vielen Alleestrassen. Am späten Nachmittag ist der 13`000 Velokilometer geschafft – darauf trinken wir erst in Polen ein gutes Glas.
Stralsund, Greifswald, Wolgast, Heringsdorf, Ahlbeck – Städte und bekannte Seebäder an der Ostsee auf unserer Route. Im Kur- und Badeort Bansin, kurz vor Heringsdorf, wagen wir uns ans Meer. Der sonnige Spätsommersonntag lässt das Geschäft der Strandkorbvermieter, Eisverkäufer und Beizer nochmals gewaltig brummen. Unglaublich auch die Massen, die auf Fahrrädern unterwegs sind. Ab 60 fast ausschliesslich mit Zusatz-Elektroantrieb. Vermutlich sind nur in China mehr Velos unterwegs.
Wir passen nicht so richtig dazu, mit unseren schwer beladenen Lasteseln. Trotzdem ist gerade das viele Gepäck Grund, uns anzusprechen. Wir geniessen die netten Plauderminuten und die Offenheit der Norddeutschen. Mehr als einmal werden Herzen ausgeschüttet über private Probleme, Partnerschaft, Reisesehnsüchte, Krankheiten. In weniger als fünfzehn Minuten kennen wir fast ein halbes Leben.
Und plötzlich ist die deutsch-polnischen Grenze erreicht. Eine breite, unbewaldete Schneise, da und dort noch Reste Stacheldraht erinnern, dass der Grenzübertritt nicht immer ein Sonntagsspaziergang war.
Wir planen noch ein Stück der Küste entlang zu fahren und dann südlich durch Pommern im Bogen nach Wroclaw (ehemals Breslau) zu pedalen. Vor dem zweiten Weltkrieg war Pommern deutsch und als Getreidekammer ein Begriff. Da und dort sind noch Gebäude ehemaliger Gutsbetriebe, oder die verfallenden Reste davon, zu sehen. Wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit muten die deutschen Ortsnamen neben den polnischen auf der Strassenkarte an.
Radwege gibt es in Polen wenige. Einer, der R10, führt der Ostseeküste entlang. Auf den stossen wir kurz nach der Grenze. Super, da haben wir den roten Faden! Kurz nach Świnoujście (Swinemünde) führt die verkehrsarme Route unvermittelt in den Wald, oder besser, in die Dünen. Nach fünf Kilometern wenig Fahren, dafür viel Laufen und Velos durch den Sand zerren, kommt endlich die Landstrasse in Sicht. Die Übung R10 wird abgebrochen.
Auch beim dritten Polenbesuch freuen wir uns an den guten Strassen (im Gegensatz zu den oft überraschend schlechten auf Rügen und Usedom und den schmalen Trampelpfaden, die als Radwege markiert sind). Über die orange und gelb markierten Strassen auf den Karten tasten wir uns zu den weissen vor. Einmal mehr erweisen sich diese Routen als Leckerbissen. Im Zickzack führen sie über schier endlose Felder mit Zuckerrüben und riesige abgeerntete Getreideflächen, durch Alleen und Siedlungen mit einer Handvoll Häuser.
Neugierig und freundlich begegnen uns die Polen. Manchmal haben wir das Gefühl, dass sie nur schwer verstehen, warum wir ausgerechnet ihr Land zum Velofahren ausgesucht haben. Radfahrer gibt es nur wenige, Tourenfahrer, an der Küste noch häufig, überhaupt nicht mehr. Schade, das interessante Land im Osten hat viel Potential. Vorurteile sind im Westen immer noch vorhanden und halten vom Besuch ab. Wir haben erfahren, dass selbst Bewohner nahe der Grenze kaum etwas über das Nachbarland wissen. Irgendwie haben wir an Polen unser Herz verloren.
Bornholm
Die knapp 600 Quadratkilometer grosse dänische Insel liegt nur 37 km von der schwedischen und 88 km von der deutschen Küste entfernt, bis nach Dänemark sind es 135 km. Grosse Zeltplätze im Osten und Norden, kleine Fischerorte, viele Rad- und Wanderwege und jede Menge Autos mit grossem D am Heck – Bornholm lebt vom Tourismus. Weite Sandstrände an der Ostküste laden zum Baden, entlang steiler Klippen im Westen führen verschlungene Wege zu interessanten Sehenswürdigkeiten. Haben wir auf Bornholm die Stammburg unserer Ahnen entdeckt? Fliesst blaues Blut durch Pits Velowaden? Die grösste Burgruine Skandinaviens thront nahe Sandvig auf einem steilen Hügel und heisst „Hammershus“ . . . mit etwas Fantasie könnte das stimmen, oder?
Von Vang, unserem temporären Wohnort, sind es acht Kilometer bis zum nächsten Supermarkt. Ob nach Süden oder Norden ist egal. Velo in die Ecke stellen – Fehlanzeige. Wie üblich eiern wir zu Anfang gehörig auf den Naturwegen herum, versuchen das Gleichgewicht zu finden. Fahren ohne Taschen ist ungewohnt. Bocksprünge über Steine, Wurzeln und in Schlaglöcher schütteln kräftig durch . . . ein weich gefedertes Velo, das wärs . . .
Wir nehmen uns Zeit für Unterhalt an Material und Mensch, spannen die Veloketten nach, wechseln Bremsklötze, machen grosse Wäsche (Bea), schneiden Haare und Bart (Pit), was ganz besonders Bea freut.
Am Donnerstag wird uns die Fähre nach Sassnitz auf Rügen bringen.