Tschernowitz (Chernivtsi), Ukraine, 28.3.-1.4. 2013

Um halb Zwölf fahren wir mit Ciprian Slemco, unserem Taxifahrer, in Suceava ab. Die Velos sind am Dacia mit einer professionellen Aufhängeeinrichtung gut gesichert. Wenn Ciprian nicht zu rassig fährt und keine grossen Schlaglöcher in der Spur liegen, dann sollten die Räder sicher halten (so hofft Pit, immer um „seine“ Velos besorgt). Die Strasse ist schnee- und eisfrei und grösstenteils trocken. Kurz vor der Grenze zur Ukraine passieren wir meterhohe Schneeverwehungen. Vor Tagen soll hier ein Schulbus mit 22 Kindern zwei Tage blockiert gewesen sein. Zum Glück konnten alle Personen im nahen Dorf verpflegt und untergebracht werden. Solche Zwischenfälle sind in einem rumänischen Winter nicht selten. Vor zwei Jahren sass Ciprian selber zwei Tage in seinem Auto fest, nur von Schnee lebend.

Die rumänische Grenze ist rasch passiert. An der ukrainischen geht’s dann erst mal gar nicht weiter. Ciprian hatte uns gewarnt und deutet auf die elend lange Kolonne auf der Gegenseite. Zigarettenschmuggel nach Rumänien ist ein grosses Problem (Zigaretten kosten in der Ukraine dreimal weniger, etwa Fr. 1.20/Schachtel), die Kontrollen sind entsprechend scharf und man muss sich auf bis zu 5 Stunden (!) Wartezeit einrichten (Einreise nach Rumänien). Korruption ist weit verbreitet, ohne Schmieren geht fast nichts. Nach Dreiviertelstunden mit Passkontrolle, Überprüfen der Chassisnummer und fotografieren des Wageninneren und der Nummernschilder (?!) geht’s endlich weiter.

Einen ersten Vorgeschmack über den Zustand der Strassen in unserem zwölften Reiseland bekommen wir rasch zu spüren (man hatte uns vorgewarnt . . .). Auf gute Strassenabschnitte folgen Teile mit Löchern, so gross und tief, Kinder könnten prima Verstecken spielen. Autofahren erfordert grosses Geschick und kostet Nerven, weil dem Gegenverkehr ausweichen oft erst im letzten Moment möglich ist. Jeder versucht die beste Spur zu finden.

Im gebuchten Hotel in Tschernowitz checken wir erst gar nicht ein. Das stinkende Raucherzimmer im Tiefparterre ist nichts für uns. Ciprian fährt unser Gepäck zu einem anderen Hotel in der Nähe, wir folgen mit dem Velo. Hier bekommen wir ein prima Zimmer und dürfen die Räder mitnehmen.

Ciprian, besten Dank für den Service und viel Erfolg mit deinem Reiseunternehmen (www.hellobucovina.com). Es hat uns sehr gefallen in der Bucovina!

Über das Velofahren in Bulgarien und Rumänien gibt es einen kleinen Film unter der Rubrik "Videos".

Gemütlicher Abend mit Dragos.
Gemütlicher Abend mit Dragos.

Suceava, 21.3.

Seit Tagen verfolgen wir den Wetterbericht aufmerksamer als auch schon. Heute Freitag schneit es und die Temperaturen sollen in den folgenden Tagen in den Keller fallen. Bis -16°C nachts, tagsüber deutlich im Minusbereich. Erst mal die Füsse an die Heizung halten und abwarten. Wir haben ja Zeit . . .

 

Botosani, ein schmuckes Städtchen, begrüsst uns nach genau 50 abwechslungsreichen und sonnigen Kilometern mit ersten Regentropfen. Eine gute Stunde vorher, bei einem Fotohalt, hält ein Polizeiauto vor uns mitten auf der Strasse. Ein junger Polizist (Fahnder in Zivil) interessiert sich für unsere Reise und wir plaudern ein paar Minuten. Er steckt unsere Visitenkarte ein – vielleicht hören wir mal von ihm. Im Hotel staunen wir nicht schlecht, als wir seine Einladung für ein Bier in Botosani im Mail finden. Aus dem Bier wird später eine Pizza und ein recht gemütlicher, interessanter Abend. Dragos, thanks for the good and interesting time we could spent together.

Herzlichen Dank für die tolle Gastfreundschaft, Miruna, Constantin, Robert und Angela!
Herzlichen Dank für die tolle Gastfreundschaft, Miruna, Constantin, Robert und Angela!

Harlau, 19.3.2013

Unsere Strasse streift den Ort Targu Frumos nur (das Hotel liegt 3 km vor der Stadt). Schon bald pedalen wir bei schönstem Sonnenschein und frühlingshaften 12 Grand über Land. Wie angenehm, den Wind mal von hinten zu haben. Daran könnten wir uns gewöhnen. Entlang weiter Felder und über sanfte Hügel schlängelt sich die Strasse durch kleine Orte nach Harlau. Heute werden es nur 30 km.

Es kommt wieder mal anders als geplant. Das einzige Hotel im Städchen ist geschlossen. Andere Übernachtungsmöglichkeiten gibt es nicht, lässt uns ein Taxifahrer auf Deutsch wissen. Zu allem Übel fängt es auch noch an zu regnen - sauber. Botosani (mit Hotels) ist gute 50 km weiter. Was soll`s, kräftig in die Pedale steigen und hoffen, dass sich unterwegs was findet. Nach einem Kilometer hält der Taxifahrer von vorher und bietet uns sein Haus zum Übernachten an. Da gibt es nichts zu Überlegen!

Constantin und Angela heissen uns in ihrem schönen neuen Haus herzlich willkommen. Wir dürfen uns im Wohnzimmer breit machen, dann gibt`s erst mal eine heisse Dusche. Constantin arbeitet als Ambulanzfahrer und an den freien Tagen als Taxifahrer. Mit seinen beiden Jobs und der Teilzeitarbeit von Angela als Krankenschwester können sie so leben, dass sie zufrieden und glücklich wirken. Robert und Miruna, die beiden Kinder, lernen fleissig englisch. Wir unterhalten uns gut und fühlen uns ausgesprochen wohl.

Dear friends, thanks a lot for the great time we could spend in your house together with you.

Liebe Familie Musteata, herzlichen Dank für eure grosse Gastfreundschaft, ihr habt uns sehr verwöhnt! Merci für die mitgegebenen Nüsse und den süssen Kischschnaps – jeden Tag geniessen wir ein wenig davon.

Rumänien und seine Menschen überraschen uns einmal mehr absolut positiv.

Gute Reise, Florian!
Gute Reise, Florian!

Iasi, Rumänien, 16.3.

Aus dem Zug wurde dann der Autobus, oder besser, der Kleinbus. Das kam so. Eine halbe Stunde vor 12 Uhr, der vorgesehenen Abfahrtszeit, waren wir am Bahnhof Süd in Chisinau, die Fahrscheine nach Iasi schon in der Tasche. Aber wo ist der grosse Bus? „Bus Unfall, Bus bummm!, kaputt, nicht fahren“!? Nur der kleine Ford Sprinter, 11 Plätze und fast kein Stauraum, steht da. Abfahrt 13.00. Letztendlich fädeln wir Bea`s Velo und alles Gepäck(!) hinten rein, Pit`s Velo bekommt die hintersten vier Sitze. Nach vier Stunden Holperfahrt, kalten Füssen und Grenzkontrolle erreichen wir Iasi.

Constantin, unser Appartement-Vermieter, ist die Zuvorkommenheit in Person. Für uns Schweizer Velofahrer hat er das Appartement frei gemacht (d.h., Gäste umquartiert) und selbstverständlich dürfen wir die Velos zu uns in die Stube nehmen – sicher ist sicher.

Iasi ist eine Universitätsstadt im Nordosten Rumäniens in der Region Moldau und die Hauptstadt des gleichnamigen Kreises. Historisch war sie die wichtigste Stadt des Fürstentums Moldau. Iași hat 280`000 Einw., ist somit eine der größten Städte Rumäniens und gilt als dessen kulturelle Hauptstadt. Viele rumänische Persönlichkeiten und Künstler lebten, studierten oder arbeiteten hier. Wir sind einmal mehr überrascht: saubere Strassen, gepflegte Grünanlagen, imposante Kirchen mit wundervollen Mosaiken und Malereien. Das Schauspielhaus und der Kulturpalast mit seinem imposanten Turm sind sehr sehenswert.

Auf der Fahrt nach Targu Frumos treffen wir den deutschen Tourenfahrer Florian (www.reisetrubel.blogspot.com). Er ist seit Anfang März allein unterwegs und möchte in ca. einem Jahr bis nach Südostasien pedalen. 100 bis 130 km sind seine Tagesetappen. Alles Gute, Florian, auf der weiteren Reise!

Moldawien, 8.3.

In zwanzig Minuten ist der Grenzübertritt geschafft. Entlang dem Fluss Prut führt die gelbe Nebenstrasse durch kleine Dörfer und Weiler. Hügel rauf, Hügel runter; ruppige Anstiege gehen in die Beine und dazu werden wir vom wenigen Verkehr mit dichten Staubwolken eingedeckt. Die Strasse ist in einem erbärmlichen Zustand und stellenweise so schlecht und löchrig, dass ein Fahren fast nicht mehr möglich ist. Selten sind wir so durchgeschüttelt worden. Wenn das so weiter geht . . .

Ab Cahul schwenken wir Richtung rote Strasse nach Chisinau ein. Wir hoffen auf bessere Strassen und Übernachtungsmöglichkeiten. Es gibt auf dem Land keine Zimmer zu mieten, geschweige denn Hotels. Leider ist die gewählte Strasse auf langen Strecken in einem ebenso schlechten Zustand wie die gestrige. Es rüttelt und schüttelt unaufhörlich; die Arme fallen uns fast ab.

Ab dem kleinen Städtchen Comrat säumen riesige Weinberge die Strasse. Reben in Reih und Glied, fast soweit das Auge reicht. Vom leichten Roten genehmigen wir uns ab und zu eine Flasche. Obwohl etwas sauer für unseren Geschmack, ist der Wein trinkbar – und vor allem wieder zahlbar, im Vergleich zur Türkei. Vor Comrat winkt uns ein Bauer zu seinem Haus. Russisch? Rumänisch? Nein, wir müssen passen. Wie gerne hätten wir uns etwas unterhalten. Leider können wir die angebotenen Eier nicht mitnehmen; im Hotel geht selber kochen schlecht. Aber ein, zwei Gläser Roten vom Fass, das passt! Eine Flasche Wein verstaut Bea in der Tasche und ab geht die Post. Irgendwie fahren wir die letzten Kilometer am Tag locker und das umkreisen der Strassenlöcher geht fast von selbst . . .

A propos Hotels, da wäre noch was zu erzählen. Gestern war die erste Frage: „Are you married and do you have children?“, „Yes, of course“, worauf wir ein Doppelzimmer bekommen. Hatten wir schon lange nicht mehr. Als gläubige Baptisten war es für die Vermieter offenbar wichtig. Heute, in Hincesti, dann dies: Keine Ahnung ob es eine Unterkunft hat. Die Polizei, Freund und Helfer, telefoniert und vermittelt uns das einzige Hotel im Ort. Super! Die Unterkunft scheint zu, aber nach einem Anruf erscheint der Besitzer mit Sohn als Übersetzer. „Wie lange wollen Sie bleiben?”, “eine Nacht”, „eine Nacht?“, „ja, ist das ein Problem?“. „No problem, no problem. Also die ersten drei Stunden kosten 300 Leu, jede weitere . . .“, „bitte sagen Sie uns einfach den Preis für eine Nacht!“. „Also die ersten drei Stunden kosten 300 Leu, jede weitere . . .“. So dreht sich das Gespräch eine Weile im Kreis (Hp bewacht derweil die schon abgeladenen und im Hotel verstauten Velos samt Gepäck). Nach zehn Minuten erscheint wütend Bea. Sofort aufladen und abfahren, die wollen uns abzocken. 160 Euro soll das Zimmer kosten, die spinnen komplett! „No problem, no problem“, kommen die Beiden nachgelaufen. Nach lautstarkem Hin und Her mieten wir das Zimmer zu einem absolut vernünftigen Preis. Zum Glück wird im Hotel am Sonntagabend nicht „gearbeitet“. Wir sind allein im Haus und geniessen eine ruhige Nacht im warmen Zimmer. Wer eine Reise tut, der kann was erleben – wie wahr . . .

Bis Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, bleibt der Himmel trüb und grau und das Wetter neblig-nass. Die Gegend verliert jeden Reiz. An schattigen Stellen liegt vereinzelt noch Schnee. Im Winter werden die Fahrbahnen mit Sand bestreut. Der liegt nun in Haufen und Wällen entlang der Strasse. Mit den grossen Pfützen gibt das einen „Pfludi“ (Matsch), gruusiger und zäher könnte er nicht sein. Velos und Taschen sehen entsprechend aus. Das kann an der Reisemoral zehren. Kleine Meinungsverschiedenheiten über das Wie und Wo weiter werden rasch zum Streit.

Nach vier Tagen in einem gemütlichen Hostel in der Hauptstadt, nehmen wir am Samstag den Zug nach Iasi, gleich nach der rumänischen Grenze. Die Strassen sind besser und die alternative Strecke in die Ukraine bietet mehr Möglichkeiten zum Übernachten. Zelten ist z.Z. leider fast nicht möglich. Wir geben die Hoffnung auf einen baldigen Frühling nicht auf.

Tulcea – wir sind am Donaudelta! (5. März)

Das Wetterglück ist auf unserer Seite. Seit sechs Tagen scheint fast immer die Sonne, allerdings ist es saukalt. Nachts gibt’s leichten Frost (ist uns egal), tagsüber dann kaum mehr als 4 Grad plus (wir sind gut ausgerüstet). Auskühlen lässt uns der stetige Gegenwind, der eisig aus dem Norden bläst. Fahren so immer einen Gang kleiner als normal. Nach 6 bis 7 Stunden im Sattel sind wir jeweils durchgefroren und einfach nur noch müde. Für uns ungewohnt ist die schier endlose Weite im Nordosten von Rumänien. Sanfte Hügel mit Feldern die bis zum Horizont reichen, alle Dutzend Kilometer mal ein Dorf mit ein paar Bäumen, sonst nichts. Selten sind wir so viele Kilometer geradeaus gefahren. Macht nichts, so lassen wir die Seele baumeln und die Beine einfach treten . . .

Mit Tulcea (ca. 230`000 Einw.) erreichen wir das riesige Donaudelta mit seinen unzähligen Wasserarmen, weiten Sumpfgebieten und einem Biosphärenreservat das mehr als 50`000 ha umfasst. Im Sommer gibt es ein grosses Angebot an Bootstouren; im Moment ist nichts los und wir zwei fallen einmal mehr als einsame Touris auf. Nach einem Tag Pause geht’s am Donnerstag die letzten 100 km bis zur moldawischen Grenze.

Istanbul liegt mehr als 900 km hinter uns und heute irgendwann übersprang der Kilometerzähler die 4`000er-Marke.

Schön, aber immer noch saukalt!
Schön, aber immer noch saukalt!

In Rumänien

(Grenze am 2.3.2013)

Ab Kavarna erreichen wir nach ca. 50 km die Grenze. Die Nebenstrasse entlang dem Meer (ca. 10 km länger als geplant) ist fast verkehrsfrei und flach. Allerdings sind die endlosen Geraden eher langweilig zum Fahren und das Meer kommt erst zum Schluss zum Vorschein. Immerhin gibt es flotten Rückenwind; wir machen Kilometer und die vielen Windräder an der Strasse winken uns nach.

Kein langes Ramba-Zamba an der innereuropäischen Grenze. Der Zöllner ist recht maulfaul, dafür begrüssen uns Hunde mit lautem Gebell. Wir nehmen es als gutes Omen – willkommen in Rumänien! Mangalia ist bekannt für seine grossen Schiffswerften. Schweisser arbeiten an riesigen Pötten gleich neben der Strasse; winkend und pfeifend werden wir begrüsst. Keine Zeit, erste Regentropfen fallen. Wir geben nochmals richtig Gas und hetzen in die Stadt. Selbst die Vorstadtköter können uns mal. Bis jetzt kommt keine Begeisterung auf. Morgen geht’s nach Konstanza.

Konstanza liegt in der Sonne und das Schwarze Meer gefällt in tiefem Blau. So möchten wir Velofahren (ca. 10 Grad wärmer wäre schon unverschämt). Wir sind überrascht, wie sauber und in gutem Zustand die Strassen sind. Die Häuser sind um einiges besser in Schuss als in Bulgarien. Die Familienpension am Abend gefällt uns auf Anhieb. Wieder mal ein gutes Händchen beim Suchen im Internet gehabt.