Kolumbien: 49'120’000 Einwohner
Hauptstadt: Bogota
14. Januar bis 14. März 2017
1815 km und 17’209 Hm mit dem Fahrrad gefahren.
Durch den Parque Nacional Natural Puracé nach Popayan
Der Blick ins weite Tal ist einfach grandios! Pitalito liegt weit unten, ebenso die Abzweigung nach San Augustin. Unsere Route steigt in vielen Kurven ständig an, wir nehmen uns Zeit um die schöne Landschaft zu geniessen und wieder mal richtig durchzuatmen, der lästige Schwerverkehr bleibt weitgehen aussen vor.
Neben weitläufigen Kaffeeplantagen an steilen Berghängen wachsen hier Bananen, Ananas, Bohnen und schwarz-rote Beeren, ähnlich unseren Brombeeren. Verkehr gibt es kaum mehr. Das ruhige Treten ist ein Genuss, selbst wenn unsere Lungen und Herzen Schwerarbeit verrichten müssen.
Gemäss Recherchen gibt es im Nationalpark keine Übernachtungsmöglichkeiten, Zelten ist verboten und sowieso nicht ratsam, da man aus Sicherheitsgründen nachts nicht reisen sollte. Irgendwas zum Übernachten werden wir schon finden.
Waren die schwarzen Regenwolken am Morgen weit weg, sitzen sie uns nun im Nacken. Es soll die nächsten Tage immer wieder heftig regnen. Der Wetterbericht ist zur Zeit eine Tragödie, schlicht zum Vergessen.
Vor uns taucht tatsächlich ein Restaurant kurz vor einem militärischen Kontrollposten auf! Können wir eventuell auch übernachten? Claro, meint lachend die junge Wirtin. Campieren könnt ihr auf jeden Fall. Nein, bei den Wetteraussichten lieber nicht. Gibt es eine andere Möglichkeit? Inzwischen fallen die ersten grossen Tropfen, wenig später – wir geniessen das verdiente zweite Bier – lässt Petrus eine geballte Ladung auf das Blechdach prasseln. Das laute Trommeln ist ohrenbetäubend, fast unheimlich.
Die Chefin und eine Angestellte räumen ihre Zimmer, wir dürfen in privaten Räumen übernachten, ja sie will nicht mal eine Bezahlung! Natürlich können wir das nicht akzeptieren. Wie gut das tut, warm und trocken im Schlafsack zu liegen während nachts der Weltuntergang geprobt wird. Regen, Regen, Regen.
Mit herzlichen Umarmungen verabschieden wir uns am nächsten Morgen von unseren aufgestellten Gastgeberinnen nachdem sie uns auch noch das Morgenessen offeriert haben. Muchas gracias por la gran hospitalidad !
Beim militärischen Kontrollposten lässt man uns durchfahren während alle übrigen Verkehrsteilnehmer genau gefilzt werden. Ein Drogenhund (oder erschnüffelt er Sprengstoff?) steckt seine feine Nase in Kofferräume und Rucksäcke, derweil ein halbes Dutzend schwerbewaffnete Militärs aufmerksam beobachten. Stunden später wird uns wieder eine Militärpatrouille im Nationalpark begegnen. Obwohl die Guerilleros der FARC einem Waffenstillstand zugestimmt haben, trauen offenbar noch nicht alle der neuen Ruhe. 220'000 Tote (geschätzt) in den letzten 50 Jahren haben nachhaltige Spuren bei der Bevölkerung hinterlassen.
Die 40 Kilometer durch den Parque Nacional Natural Puracé holpern wir oft nur im Schritttempo bis auf 3220 m ü.M. hoch, von recht gut zu fahren bis grottenschlecht bietet die Naturstrasse alles. Und natürlich lässt uns der Regen nicht in Ruhe, macht aus dem Staub glitschige Pappe. Wir drei haben nicht alle gleich viel Spass beim Treten auf solchen Schotterpisten.
Leider bleibt die Fernsicht heute in der Schublade. Zäher Nebel kriecht an den Berghängen hoch, vermischt sich dann und wann mit stinkenden, schwarzen Abgasschwaden der wenigen Lastwagen, die sich auf der Strecke durch die Pfützen mühen. Um die Strassenbenutzungsgebühren zu sparen, die auf allen Strassen zu bezahlen sind?
Der Nationalpark besteht fast nur aus Urwald, bietet zum Velofahren wenig Abwechslung, trotzdem hat die wilde, bergige Landschaft ihren Reiz. Besonders die letzten Kilometer begeistern uns. Auf sumpfigen Wiesen wachsen Schopfrosettenbäume bis zum Horizont. Der Anblick hat etwas urzeitliches – einfach schön!
Weil sich keine gute Übernachtungsmöglichkeiten anbieten, nehmen wir die restlichen 47 km bis Popayan unter die Räder (Bea mit wenig Begeisterung). Zwei Stunden bleibt es noch hell und gemäss Einheimischen geht es nach einem kurzen Anstieg nur noch bergab. Erste Regentropfen fallen, dort wo wir hin wollen verschmilzt der Horizont mit dem schwarzen Himmel. Jetzt kräftig in die Pedale treten und rasch ins Tal kommen. Von wegen nur bergab! Beim zweiten Anstieg sind wir bereits bis auf die Haut nass; jetzt ist eh alles egal, wir lassen die Regensachen im Sack und schiessen ungebremst von einer Kurve zur nächsten. Das Tal wird eng, der Regen lässt die Hänge rutschen, Erde und Steinbrocken liegen auf der Strasse. Jetzt nicht anhalten, nur rasch weg. Und plötzlich geht die schöne neue Strasse für einige Kilometer in eine üble Geröllpiste über, wieder nur im Schritttempo abwärts holpern, Arme und Hände schmerzen vom Dauerbremsen. Regen, Regen. Verstehe da einer die Strassenplanung der Kolumbianer!
Erst gegen acht Uhr abends erreichen wir endlich Popayan. Nach elf Stunden und 91 Kilometern im Sattel und mit 1260 Hm in den Beinen sind wir einfach nur noch müde, schlottern vor Kälte. Bea schläft beim Nachtessen fast ein. Solch lange Tagestouren sind selten, aber manchmal muss man da einfach durch.
Weiter südwärts
Endlich! Nach 25 Stadtkilometern im Sonntagsverkehr liegt Bogota hinter uns. Selbst am Wochenende verpesten grosse Trucks die Luft, zeitweise meint man gleich ersticken zu müssen, dazu kommt, dass wir immer noch auf 2600 m ü.M. fahren. Eine sehr angenehme Besonderheit, von der wir gehört haben, dürfen wir trotzdem auf ein paar Kilometern geniessen: an Sonntagen werden gewisse Strassen für den motorisierten Verkehr gesperrt, bleiben für Stunden ausschliesslich Radfahrern, Skatern und Fussgängern vorbehalten. Hunderte geniessen unbeschränkte Vorfahrt, Autos müssen sich mit einer Spur zufrieden geben. Heute kommen wir drei Gringos aus Übersee ebenfalls zum Handkuss. Könnten wir doch mal in der Schweiz ausprobieren, z.B. in Basel, Bern oder Zürich? Kaum auszudenken, was da los wäre . . .
Für 100 Kilometer bleibt der grosse Verkehr der Ruta 40 links liegen, wir stürzen uns in die 70 km-Abfahrt von Sibate nach Girardot, sausen über 2000 Höhenmeter auf 400 m ü.M. hinunter. Ein paar kurze Steigungen gibt es, aber die sind nie lang. Uns entgegen keuchen an diesem Sonntag viele hundert Velofreaks auf Rennrädern und Mountainbikes. Die kurvenreiche Route durch kleine Dörfer scheint DAS sonntägliche Radvergnügen in der Umgebung von Bogota zu sein. Volltreffer für uns! (Unsere gefahrene Strecke aktualisieren wir wenn möglich täglich unter der Rubrik „Bereiste Länder und Routen, 2012 – 2017“).
Kurz nach dem Abbiegen in Sibate steigt uns ein stechender Geruch in die Nase, er steigt vom Rio Bogota auf, dem wir anfangs entlang fahren. Der kleine Fluss ist eine dunkelgrau schäumende, zum Himmel stinkende Kloake, der man freiwillig fern bleibt. Ein riesiger Schaumteppich treibt Eisschollen gleich talwärts. Nur rasch weiter, bevor uns übel wird.
In Tocaima gibst zum dritten Mal eine Frühstücksüberraschung: einen Platten, diesmal erneut bei Bea. Und wieder ist kein Übeltäter im Reifen zu finden. Vermutlich hat sich tags zuvor so ein kleiner, sehr feiner Stachel (von einem Kaktus?) seitwärts durch den Mantel gebohrt. Hoffentlich geht das nicht alle 500 km so weiter.
75 km vor Neiva biegen wir auf die 45A ab, eigentlich ein Feldweg. Bis Villavieja holpern wir durch eine karge Landschaft, ab und zu ein paar Häuser, Verkehr gibt es so gut wie keinen. Die unvermittelte Ruhe und die saubere Luft tun unglaublich gut. Wir überqueren den Rio Magdalena auf einer alten Eisenbahnbrücke, überwinden etliche kurze steile Anstiege und geniessen die weite Landschaft. Das ist Velofahren, wie wir es lieben!
Sie trocknet Hibiskusblüten, vielleicht für Tee, vielleicht werden sie kandiert.
„Deserto de Tatacoa“ steht auf der Strassenkarte. Das Gebiet nordwestlich von Villavieja ist für unser Empfinden keine Wüste, trotzdem läuft der Schweiss in strömen. Auf unserem Bier-Diagramm in Kolumbien steigt die Kurve seit Tagen jeweils abends steil an; einige Restaurantbesitzer machen wohl den Umsatz des Tages.
Speziell sind die verschiedene Kakteenarten und die erodierten Felsformationen in leuchtenden Rottönen, sie machen aus der weiten Ebene eine bizarre Landschaft, wie wir sie vorher nie gesehen haben. Auf den letzten 35 km bis Neiva ist die Strasse geteert, der Verkehr hat zugenommen.
Die Ruta 45 bietet sonst wenig Spektakuläres; wir tun das, was man auf grossen Überlandstrassen meistens macht, nämlich Kilometer herunterspulen.
Die drei Pausentage in Pitalito haben wir alle nach acht Tagen ständigem auf und ab treten nötig. Auf jeden Fall wollen wir das nahe San Augustin mit seinen monumentalen Steinskulpturen besuchen, die zwischen 200 v. Chr. Und 700 n. Chr. entstanden.
San Augustin
. . . wird für uns dann leider in Flop. Nicht weil die bekannte präkolumbianische Ausgrabungsstätte der San-Agustín-Kultur uninteressant gewesen wäre, sondern schlicht und einfach, weil der archäologische Park in San Augustin seit einem Monat jeweils dienstags geschlossen bleibt. Mitten in der Hauptsaison. Weder unser Taxifahrer noch der Führer vor Ort wussten davon (wer’s glaubt, wird selig). Nach einem längeren Rundgang zu einer wenig interessanten Aussenanlage und einem abschliessenden Bier im Ort fahren wir zurück nach Pitalito. Den dritten Pausentag mögen wir nicht für einen zweiten Ausflug hergeben. Schade, aber wir müssen auch nicht alles sehen.
Wir freuen uns jetzt auf Route durch die Berge nach Popayan und den Nationalpark Puracé mit dem gleichnamigen, 4646 Meter hohen Vulkan. Morgen geht’s los!
200 Kilometer bis Bogota
Wir lassen es bis Barbosa gemütlich dreissig Kilometer abwärts rollen, die Windjacken bis zum Hals geschlossen. Trotz morgendlichen Sonnenstrahlen pfeift uns der Fahrtwind ungemütlich kalt um die Ohren; die Hände schmerzen vom Dauerbremsen, dafür erhalten die heissen Felgen eine willkommene Luftkühlung – auch nicht schlecht. Trotzdem heisst es immer aufpassen um nicht plötzlich zu schnell in Geröll und Löcher zu brettern, die regelmässig in Kurven auftauchen.
Grandios die Ausblicke ins Tal im weichen Licht des frühen Tages. Die Vegetation ähnelt stark der irgendwo im Berner Oberland oder im Emmental, nur dass wir hier auf 2700 m ü.M. durch Wald fahren und immer mal wieder Palmen und blühende, grosse Kakteen an der Strasse stehen. Weiter unten graben Bauern Kartoffeln und ernten Weizen, der Mais schiesst prächtig in die Höhe, ebenso die Stangenbohnen. Auf den weiten Ebenen vor Bogota grasen grosse Kuhherden, Milchwirtschaft ist hier dominierend. Zebu-Rinder gibt es keine mehr, dafür Fleckvieh und die schwarz-weissen Holsteiner.
Nach zwei Tagen Pause in Barbosa mit einem nächtlichen Gewitter hat uns die vielbefahrene Ruta 45A erneut im Griff. Bis in die Hauptstadt Bogota müssen unsere Lungen einiges an Abgasen und Russ aushalten, ganz zu schweigen von unseren Nerven, die wegen der vielen idiotisch schnell fahrenden und halsbrecherisch nah vorbei jagenden Kleinbussen oft blank liegen. Viele Passagiere transportieren, bedeutet höherer Verdienst. Fahrpläne gibt es keine, schnell sein heisst die Devise. Pit hat seine guten Vorsätze für zwei Tage über Bord geschmissen und flucht wie ein Rohrspatz. Wir erleben die Kolumbianer als gläubige, fleissige Kirchgänger, die die Gotteshäuser auch tagsüber füllen. Viel, viel beten, das müssen sie ohne Zweifel, so wie die meisten im Strassenverkehr unterwegs sind. Augen zu und durch.
Unvermittelt taucht sie zwischen den Bäumen auf, die flache Laguna de Fuquene zwischen Chiquinquira und Ubate, eine weit verzweigte, glitzernde Wasserfläche in sattgrünem Rahmen aus sumpfigen Wiesen und Ackerflächen – wunderschön! Der ehemals 100 km2 grosse Süsswassersee wird seit Jahren mehr und mehr entwässert um Landwirtschaftsland zu gewinnen, derzeit misst die Laguna noch 30 km2.
Ausser Chiquinquira und Zipaquira, die kleine, sanft renovierte Altstädte mit schönen Plätzen und imposanten Kirchen haben, bieten die Dörfer an der Strasse wenig. Eine Beiz für die obligate Mittagssuppe findet sich immer, auch unseren Getränkevorrat können wir dort auffüllen. Kulinarisch kommen wir dagegen sonst selten auf unsere Kosten. Das Angebot ist stark fleischlastig auf Huhn und (zähes) Rindfleisch ausgerichtet, Gemüse und Salate fehlen (abgesehen von zwei, drei mageren Tomatenscheiben mit Zwiebeln), ebenso sucht man Pasta vergebens (obwohl es Spaghetti und Nudeln in den Supermärkten gibt). Überhaupt könnten die kleinen Restaurants, Pizzerias und die zahlreichen Schnellimbisse ihre ausgehängten Menus beliebig austauschen. Ein etwas langweiliger Einheitsbrei, mit dem wir den hohen Kalorienbedarf beim Velofahren nur mangelhaft decken können. Dazu kommt, dass viele Restaurants gegen Abend schliessen und wir für ein Nachtessen zu waren Pfadfindern werden müssen.
Egal, das haben wir schon in anderen Ländern erlebt. Vorläufig heisst es eben Ernähren, Essen gehen wir dann in Bogota. Dort soll es bei guten Italienern feine Spaghetti und vorzüglichen Rotwein geben! Hmmm, da kommen wir drei ins Träumen . . .
Nach einer zweistündigen Kletterpartie ist kurz nach Boqueron mit 3077 m ü.M. der vorläufig höchste Punkt erreicht. Der Pass lässt sich gut fahren, knifflig wird es, wenn wir an den Fahrbahnrand gedrängt werden und dem Strassengraben gefährlich nah kommen. Bedrängen uns von hinten und von vorn Brummis, geben wir schon mal klein bei und weichen von der Strasse, zu klar sind die Kräfte verteilt.
Hier oben in Boqueron wird Steinkohle abgebaut, feiner Kohlestaub überdeckt alles. Nur rasch weiter, bevor uns der nächste Truck erneut in eine schwarze, stinkende Wolke hüllt. Die Einwohner hier oben sind nicht zu beneiden.
„Schaut, wie toll!“, Bea ist ganz aus dem Häuschen. Kurz nach Zipaquira beginnt ein supertoller Radweg, zweispurig, gut ausgebaut – wer hätte hier so etwas erwartet. Mit einigen Unterbrüchen hält uns dieser Weg den enormen Verkehr vom Hals. In eine Grossstadt pedalen bedeutet immer Stress, Bogota macht da keine Ausnahme.
Die kolumbianische Hauptstadt, auf 2640 m ü.M. gelegen, ist mit ihren 6,8 Millionen Einwohnern im eigentlichen Stadtgebiet und 7,9 Millionen in der Agglomeration nicht gerade ein Dorf.
Drei Tage Stadtpause, das muss reichen. Wir suchen auf jeden Fall nach Alternativen zu den grossen Strassen Richtung Grenze nach Ecuador und freuen uns – ganz ohne Unterton – weiter aufs Velofahren in diesem schönen interessanten Land!
Die Berge stehen vor unserer Nase, also wollen sie erfahren werden!
Nach drei Tagen treten auf der vielbefahrenen Ruta 45 dürfen wir auf die 62 abbiegen, eine Nebenstrasse, die in die Berge führt und bis Barbosa wenig Verkehr aber dafür viel Natur verspricht. Den Tipp hat Pit vom Hotelinhaber in Mompox bekommen, der meinte, diese Strecke sei schön zu fahren und habe man Barbosa erreicht, seien die Anstiege bis Bogota human. Sei’s drum, wir wagen das Experiment; die Berge stehen vor unserer Nase, also wollen sie erfahren werden!
Endlich mal durchschnaufen ohne brüllenden Lärm in den Ohren. Mehr als Dreiviertel der vielen Fahrzeuge auf der Ruta 45 waren mächtige Trucks, die sich abends als Blechlawine auf die grossen, staubigen Parkplätze bei den Truckerhotels ergossen. Ein faszinierendes, hupendes, stinkend-qualmendes Durcheinander von grell beleuchteten 6-Achsern; wäre Arnold Schwarzenegger als Terminator unvermittelt in einer Staubwolke aufgetaucht, wir hätten beim Nachtessenbier auf der Restaurantterrasse laut „Action“ gerufen!
Wir geniessen das ruhige Fahren. Ab und zu kläffende Hunde, die im Gegensatz zu den Tagen vorher meist an der Leine liegen. Einer kam bei einer Tankstelle wie ein Blitz geschossen und wollte an Fritzen’s Zehen. Manche der Streuner sind Nervensägen, auch dann, wenn sie beim Abendessen Schwanz wedelnd neben dem Tisch sitzen. Zuerst an die Waden wollen und dann betteln – nicht mit uns!
So schön kann Radfahren sein! Bis Cimitarra schwitzen wir auf der gut ausgebauten Strasse manchen Hügel hoch um dann unvermittelt auf kurvenreicher Abfahrt ins nächste Tal zu sausen . . . und rasch wieder alle Höhenmeter zu verlieren. Seit ein paar Tagen hat das triste Graubraun der Felder einem satten Grün Platz gemacht. Grosse Herden der genügsamen und an das heisse Klima angepassten Zebu-Rinder (die mit den grossen Ohren und dem charakteristischen Buckel hinter dem Kopf) weiden neben der Strasse und beäugen uns neugierig, ein Zeichen, dass hier wohl eher selten Velofahrer vorbei kommen.
Grosse, wunderschön schillernde Schmetterlinge, schrill lärmende Singzikaden und viele farbige Vögel begleiten uns beim ruhigen Pedalen. Jetzt geht es zur Sache. Steil zeigt die Höhenkurve ab Landazuri nach oben, aber das ist erst der Anfang. Auf geteerte Abschnitte folgen in regelmässigen Abständen üble Pisten und Baustellen, wie sie Velofahrer lieben. Dann und wann bestätigt uns ein Blick auf das Navi, dass wir noch auf der richtigen „Strasse“ unterwegs sind. Wir kurven durch groben Schotter, um grosse Löcher und Pfützen, Staub vermischt sich mit Schweiss, knirscht zwischen den Zähnen. Im Schneckentempo spulen wir uns im ersten Gang aufwärts und machen den stinkenden Camions Platz, die mit schwerer Fuhre zu Strassenbaustellen bergwärts unterwegs sind. Sonst gibt es kaum Verkehr; die Einheimischen sind vor allem auf Motorrädern unterwegs, hupen uns zum Gruss an und heben den Daumen. Wieso mühen sich die Gringos auf Bicicletas ab, wenn es doch Yamahas gibt?
Trotzdem geniessen wir das anstrengende Fahren durch die Berge und die tollen Ausblicke auf den dichten Urwald, der sich im fernen Dunst verliert. Nur wenige Dörfer kleben an den steilen Hängen und wir fragen uns, von was die Dörfler hier leben; wir sehen lediglich Kakaobohnen, Bananen und ein paar Kühe. So wie uns die Bewohner neugierig mustern, müssen Fremde seltene Besucher sein.
Auf 900 m ü.M. wird es nach dem Sonnenuntergang kühl, nachts schlüpft Bea gerne unter die dünne Bettdecke. Würden nicht direkt unter unserem Hotelzimmer Lastwagen und Busse halten und die stinkenden Motoren laufen lassen (morgens um halb vier fährt der erste Omnibus nach Barbosa), wir hätten bei angenehmen Temperaturen gut geschlafen.
Wir essen hartes Brot. Jetzt zeigt sich, dass es mit der Kondition von uns beiden nach Monaten genüsslichem Nichtstun nicht weit her ist. Nach den Verschnaufpausen verschwindet Fritz rasch um die nächste Kurve während wir nicht ohne regelmässige Zwischenstopps auskommen; sind das wirklich unsere eigenen Beine, so schwer wie die sind? Nach neun Stunden im Sattel und unzähligen Serpentinen taucht endlich das einzige Hotel weit und breit auf. Wie weit es noch sei, darauf konnte uns am Nachmittag niemand eine zuverlässige Antwort geben. Von zwei Stunden Fussmarsch(!) bis locker eine Stunde mit dem Velo war alles in der Auswahlsendung. Egal, wir haben es geschafft! Dass Bea nur eiskalt Duschen kann während Pit später wohlig heisses Wasser geniesst, ärgert nur seine liebe Frau. Fünf (dünne) Decken türmt Bea auf, bis ihre Füsse endlich warm werden. Die nächtlichen 12 Grad hier auf 2700 m ü.M. sind wir nach heissen Tagen nicht mehr gewohnt.
Sand zwischen den Zähnen
Unsere Route führt weiterhin entlang dem Rio Magdalena, der sich meist verborgen hält, aber seine Nähe durch sattgrüne, sumpfige Wiesen und offene Wasserflächen erahnen lässt. Der Fluss mäandert in weiten Bögen durch die flache Landschaft und bietet Vögeln und Reptilien einen idealen Lebensraum und uns Stunden entspanntes Pedalen abseits des Verkehrs. Wir beneiden Kühe, Pferde und Schweine, die beim Fressen bis über den Bauch im kühlen Nass stehen während wir im eigenen Saft baden. Dann verschwindet kurz vor Guamal auch noch der letzte Asphalt der ohnehin schlechten Strasse, ab jetzt heisst es Piste und Baustelle fahren und jede Menge Staub fressen und sich durch Sand wühlen. Zum Glück gibt es kaum Verkehr, aber die wenigen Lastwagen und Autos reichen allemal für einen respektablen Drecksturm mit Sand zwischen den Zähnen aus.
Für uns Schweizer Velofahrer ist Kolumbien ein günstiges, ja billiges Reiseland. Zehn bis zwanzig Franken kostet uns in der Regel ein einfaches Hotelzimmer mit Dusche/WC und WiFi, mittags reicht ein Fünflieber für zwei Suppen und Getränke. Wer will da schon Zelten und selber Kochen? Wir erleben die Kolumbianer als freundliche, hilfsbereite Menschen die sich gerne auf einen Schwatz einlassen würden, wären unsere Noten im Spanischen nicht so mies. Ohne Spanischkenntnisse ist man hier tatsächlich aufgeschmissen, Englisch spricht selten jemand. Also weiter büffeln, Velofahrer!
Ab El Burro beissen wir in den sauren Apfel und wagen uns wegen fehlender Alternative auf die Ruta 45, eine der Hauptverbindungsstrassen von der Küste nach Bogota. Truck an Truck donnern durch den kleinen Ort, der Lärm ist wie ein Faustschlag ins Gesicht und wir ahnen, auf was wir uns eingelassen haben. Das Treten wird dann entspannter als befürchtet, da sich die gut ausgebaute Strasse ausserhalb der wenigen Ortschaften auf je zwei richtungsgetrennte Fahrbahnen aufteilt und ein breiter Seitenstreifen das Velofahren sicher macht.
Wir fahren nun entlang der Andenkette Richtung Süden. In gut einer Woche müssen wir die erste Nagelprobe bestehen, dann warten happige Anstiege auf uns. Wir freuen uns, nicht zuletzt weil es dann auch kühler wird.
Gekocht und gebraten
Am 30. Januar verlassen wir nach einem einstündigen Stadtmarathon Cartagena und sind froh, dem lärmenden, stinkenden Verkehr entkommen zu können. Die vielen Kleinbusse, die ständig am Strassenrand anhalten und die unzähligen hupenden Motorräder, die uns wie ein Bienenschwarm umkreisen und links und rechts überholen, zerren an den Nerven. Ja nicht unaufmerksam werden und einen Zusammenstoss riskieren.
Die Landschaft bleibt in den ersten Tagen eintönig. Gelbbraun verdorrt das Weideland der Cebu-Rinder und Schafe, einzig Bäume und Büsche zeigen da und dort etwas frisches Grün. Wassermangel in einigen Gebieten macht dem Land seit Jahren zu schaffen. Nur selten dürfen wir etwas Schatten beim Fahren geniessen. Die Strasse windet sich in sanften Kurven über flache Hügel um dann in lange Geraden überzugehen, Höhenmeter gibt es wenige, trotzdem fliesst und tropft es an uns herunter, als würden wir dauernd im Regen fahren. Nach dem winterlichen Europa sind Temperaturen gegen 40°C und die hohe Luftfeuchtigkeit zum Radfahren eine echte Herausforderung – gefühlt gibt es zwischen gekocht und gebraten werden für uns kaum einen Unterschied. Glücklicherweise finden wir genügend kleine Länden und Restaurants um den Wasser- und Coca Cola-Vorrat aufzufüllen.
Bea will die ersten drei Tage nicht so richtig in Fahrt kommen und klagt über müde Beine, Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel (oder liegt es am zu forschen Tempo das die beiden Männer vorlegen, wie sie meint?). Wie wir merken müssen, ist es bei so extremem Schwitzen wichtig, den Verlust von Spurenelementen und Mineralstoffen, die auch als Elektrolyte bezeichnet werden, auszugleichen. Problem erkannt und vorgesorgt; wir kommen nun besser voran trotz hochgedrehtem Backofen.
Eine kleine Personenfähre bringt uns bei Magangue über den Rio Magdalena, bis Santa Cruz de Mompós sind es noch knapp 40 Kilometer. In der kleinen historischen Stadt halten wir es wie der deutsche Forscher Alexander von Humboldt 1801 und legen zwei Pausentage ein. Nach vier Monaten ohne Velofahren heisst es erst mal die schmerzenden Hintern pflegen und salben.
Cartagena de Indias
Der Name der Stadt stammt von der spanischen Stadt Cartagena, zur Unterscheidung dient der Zusatz de Indias in Bezug auf Westindien, ist auf Wikipedia zu lesen. (Die Westindischen Inseln bestehen aus den Kleinen und Grossen Antillen, den Bahamas und den britischen Überseegebieten Turks- und Caicosinseln. Christoph Kolumbus versuchte auf seinen vier Entdeckungsreisen 1492 bis 1504 den Seeweg nach Indien zu finden und steuerte dabei auf der letzten Reise das heutige Honduras auf dem amerikanischen Festland an. Ihm war nicht bewusst, dass er einen neuen Kontinent entdeckt hatte).
Die eine Million Einwohner zählende Hauptstadt des Departamentos Bolivar liegt an der Karibikküste im Norden Kolumbiens und gilt als eine der schönsten Kolonialstädte Südamerikas. Obwohl wir keinen Vergleich haben, begeistert die aufstrebende Perle neben vielen anderen Touristen auch uns durch ihre Farbigkeit, ihr lautes Treiben und durch die schöne Kolonialarchitektur der ehemals hier herrschenden Spanier. Ein nie vorher erlebtes Vielvölkergemisch hilfsbereiter Menschen, (21% der kolumbianischen Bevölkerung hat afrikanische Wurzeln, ihre Vorfahren wurden über drei Jahrhunderte von Sklavenhändlern in das spanische Kolonialgebiet verschleppt), laute südamerikanischen Rhythmen aus Lautsprechern, wo immer man sich aufhält oder fährt, sprudelndes Leben abends in den Gassen und auf den kleinen Plätzen in den Quartieren – ein wundervoll faszinierendes karibisches Durcheinander und wir staunend mittendrin. Europa ist weit weg.
Fährt man mit den lokalen Bussen der Einheimischen in die verschiedenen Stadtteile, ist die einzige Konstante die Richtung, in die sich die bunten, stinkenden, in die Jahre gekommenen und fast immer überfüllten Chevrolet-Kleinbusse durch den Verkehr hupen. Wir nutzen die günstige Fahrgelegenheit um für den Einheitspreis von 2000 Peso (ca. 65 Rappen) von unserer Unterkunft in die Innenstadt zu kommen. Haltestellen gibt es nicht, ein Handzeichen reicht. Sitzen ist selten möglich, ab und zu heisst es auf dem Trittbrett mitreiten, aber auf jeden Fall immer gut festhalten um bei den hohen Tempi, brüsken Stopps und Richtungsänderungen auf den Beinen zu bleiben.
Die wichtigen Nahverkehrsmittel sind begehrte Handelsplätze und Tribünen. Getränke, Esswaren, eine Handvoll Bonbons für wenige Peso, junge Sänger mit Gitarre – viele versuchen mit wenigen tausend Peso täglich irgendwie durchzukommen. Selbst Strassenkreuzungen dienen Artisten für weniger als eine Minute als Bühne. Kaum hält die Ampel den Verkehr auf, stürzt ein junger Typ auf die Strasse, setzt den rotierenden Ball auf die Spitze eines offenen Sonnenschirms, den er balancierend auf den Kopf stellt um gleichzeitig mit Keulen zu jonglieren. Ein anderer Gaukler mit Pappnase wirbelt Tag für Tag brennende Fackeln durch die Luft und speit dabei Feuer. Wie gut das viele Benzin wohl seiner Gesundheit bekommt?
Staunend und fasziniert stehen wir wiederholt am Strassenrand und freuen uns an den lachenden Augen und dem „gracias, my friend“ wenn etwas Kleingeld den Besitzer wechselt. Wie reich wir doch sind . . . nicht an Geld, sondern überhaupt reisen zu dürfen und das erst noch mit der ganzen Zeit der Welt.
Fritz, unser Reisepartner bis Peru ist mit dem Flugzeug aus der Schweiz eingetroffen. Jetzt freuen wir uns, endlich zusammen Richtung Bogota losfahren zu können!
América del Sur, oder langsam ankommen in einer anderen Welt
Tragfähigkeit 30804 t, Länge 197 m, Breite 30 m, Baujahr 2003, 28 Besatzungsmitglieder, 6 Gäste, 2200 Container, das sind die Eckdaten unseres Zuhauses für die nächsten sechzehn Tage. Unser Haus steht momentan nicht sondern liegt, wir ziehen nicht ein sondern schiffen ein und wenn wir umziehen laufen wir aus, ohne eine Sauerei zu hinterlassen. Die Fort St. Louis der französischen Reederei CMA CGM, ein kleinerer Containerfrachter (für uns ist das Schiff sooo gross!), wird uns von Hamburg in sechzehn Tagen nach Le Havre, dann ca. 10'000 Kilometer über den Nordatlantik nach Jamaika in der Karibik und weiter in unseren Zielhafen Cartagena in Kolumbien bringen - so hoffen wir. América del Sur - ein neuer Kontinent und ein neues Abendteuer für uns!
Trotz Navi wird das Pedalen zum Burchard Kai im Hamburger Containerhafen nach 20 km Industrieparcours und lärmigem Schwerverkehr (immerhin meist auf Radwegen) kurz vor dem Ziel abrupt durch eine hohe Fussgängerbrücke gestoppt. Wenigstens lassen sich die Räder teilentladen über das Hindernis wuchten – wird nicht das letzte Mal sein und sowieso, wer hier mit dem Rad herumkurvt wo es eh nicht weiter geht und Touris sowieso nichts verloren haben, arbeitet im Hafen, muss verrückt sein . . . oder sucht eben „sein“ Schiff.
Nach Registration und Passkontrolle bringt uns ein Shuttle vom Pförtner zu unserem Schiff. Velofahren oder zu Fuss gehen ist Unbefugten verboten, zu gefährlich wäre der Aufenthalt zwischen all den hohen Portalhubwagen mit ihren Stelzbeinen und den weit oben in den Kabinen sitzenden Fahrern, die zu Dutzenden wie riesige Spinnen volle und leere Container vom weitläufigen Lagerplatz zu den Frachtern bringen oder abtransportieren, alles über Funk koordiniert von einer zentralen Leitstelle – eine logistische Meisterleistung! Riesige Verladekräne hieven tausende der Blechkisten schnell und präzise an Deck oder vom Schiff. 24 Stunden, Tag für Tag, ausgenommen an wenigen Feiertagen im Jahr. Wegen der hohen Liegegebühren ist Zeit viel Geld und je schneller das Be- und Entladen der Frachter geht, umso rascher kann der Hafen verlassen werden. Mit ein Grund, warum wir uns mindesten einen Tag vor dem Auslaufen der Fort St. Louis in Hamburg aufhalten mussten (oder besser durften, weil Hamburg einen speziellen Scharm hat und die neue Elbphilharmonie auf jeden Fall einen Besuch lohnt) um jederzeit früher einzuschiffen, falls von der Reederei aufgefordert.
Der Lotse steht auf der Brücke, endlich fallen die dicken Taue am Burchard Kai, zwei Schlepper ziehen und schieben das mächtige Schiff langsam in die Strömung der Elbe. Wir legen am 2. Januar 2017 planmässig um 22.00 Uhr Richtung Le Havre ab, stehen auf der Brücke, lassen die vor Anker liegenden viele tausend Container grossen Pötte an uns vorbei ziehen, das Lichtermeer des Hafens und Hamburgs lösen sich in der Nacht auf; wir geniessen den Augenblick, das langsame Fahrt Aufnehmen. Loslassen der besonderen Art, einfach wunderschön!
Die gesamte Brücke liegt in gespenstischem Dunkel, Licht würde die Augen täuschen und das heikle Manövrieren in der Nacht verunmöglichen, gesprochen wir nur flüsternd, knapp erfolgen die Kurskorrekturen des hochkonzentrierten Lotsen, die umgehend vom Rudergänger quittiert werden, sobald der neue Kurs anliegt. Die Anspannung ist beinahe greifbar. Wir Gäste halten uns im Hintergrund, sind quasi unsichtbar, auf jeden Fall nicht im Weg stehen, heisst die Devise.
Irgendwann Stunden später geht der Lotse von Bord, wir liegen längst in der Koje, haben uns vom monotonen Brummen des Schiffsdiesels und sanftem Schaukeln in den Schlaf wiegen lassen. Mit uns haben sich zwei weitere Schweizer Radfahrer eingeschifft, Lydia und Reto schippern ebenfalls nach Kolumbien, in Le Havre steigen Gerry und Elodie aus Fribourg zu, die nach Jamaika wollen. Sechs Passagiere aus der Schweiz, die sich gut verstehen - für Unterhaltung ist also gesorgt.
Dass uns ein französisches Schiff mitnimmt war eher Zufall aber für uns Geniesser und Schleckmäuler ein Volltreffer. Was aus der Kombüse auf den Tisch kommt, ist eine Wucht; so feine und abwechslungsreiche Dreigänger haben wir lange nicht mehr vorgesetzt bekommen. Und dann erst der vorzügliche französische Fromage mittags und abends vor dem Dessert, dazu reichlich vollmundigen französischen Roten . . . jetzt sind die Hosen definitiv zu eng! Aber eine Mahlzeit auslassen wäre ein Sakrileg, völlig ausgeschlossen. Wir werden uns irgendwo in den Anden gerne an die französischen Genüsse erinnern und froh um Bauchspeck-Reserven sein, also alles halb so wild.
Wir fühlen uns sehr wohl auf „unserem“ Schiff, plaudern, lesen viel, besuchen täglich die Brücke, auf der wir immer Zutritt haben, lassen uns von den stets freundlichen Wachhabenden Instrumente und Kurs erklären, halten die Nasen in den Wind und freuen uns natürlich auf die nächste Mahlzeit und den obligaten Mittagsschlaf. An den Rhythmus gewöhnt man sich gerne.
Nach einer Woche ruhigem Schlingern nimmt der Seegang zu, das Schiff rollt mächtig vor und zurück, kippt hin und her, erzittert wenn der stählerne Bug in ein tiefes Wellental kracht, trotzdem wird niemand von uns Landratten Seekrank, was alle wundert, ja wir schlafen sogar aussergewöhnlich gut.
Nach zwölf Tagen auf See dümpeln wir 30 km vor Kingston, Jamaika, stundenlang im warmen karibischen Wind weil der vorgesehene Liegeplatz im Hafen noch nicht frei ist. Erst gegen Mitternacht machen sich die gigantischen Kräne an unseren Containern zu schaffen, der Landausflug, auf den wir uns gefreut haben, ist gestrichen weil das Schiff morgens um elf Uhr wieder auslaufen soll (was es dann erst um 14 Uhr tut) und wir zwei Stunden vorher wieder an Bord sein müssen. Schade, wir haben uns auf Kingston und etwas Landgang gefreut. Jamaika bleibt in der Agenda!
Am 16. Januar, zwei Tage früher als geplant, ist es soweit: wir betreten abends erstmals südamerikanischen Boden bei warm-feuchten 27 Grad. Schon die Einfahrt in den Hafen mit der imposanten Skyline von Cartagena im Hintergrund ist ein Hingucker, der uns verzaubert hat.
Nach einer nächtlichen Spritztour durch die Stadt – vorneweg ein Taxi mit unserem Gepäck, wir vier Radfahrer im Schwarm hinterher (unsere Lampen liegen noch im Gepäck, hier fahren eh fast alle Velofahrer ohne Licht) – knallt uns der Beamte auf der Immigration ohne weitere Fragen den Einreisestempel in den Pass und wünscht uns viel Spass bei Radeln. Gegen Mitternacht, ein passendes Hotel ist nach längerem Suchen endlich gefunden (nicht so günstig wie geplant, ist uns aber heute wurscht), runden süffige, eiskalte, kolumbianische Biere und heisse südamerikanische Rhythmen aus dem Lautsprecher der Safaribar den langen Tag ab.
Südamerika – lange und gross war die Vorfreude und jetzt sind wir wohlbehalten und mit vielen Erwartungen in Kolumbien angekommen – grosse Glückspilze, ja das sind wir!
Würden wir wieder eine Schiffspassage anstelle einer Flugreise buchen? Das heisst, zwei Wochen auf TV und Mobilephone verzichten, zwischendurch auf etwas wackeligen Beinen (Wellen oder Wein?) in die Kabine tappen dafür jeden Tag viel, viel Wasser aber kein Land sehen? Ja, auf jeden Fall! Wer sich gut mit sich selber beschäftigen kann, gerne und viel liest und Zeit haben nicht mit Langeweile gleichsetzt, der/die sollte das mal ausprobieren. Wir würden wohl erneut bei einem Franzosen einschiffen . . .