Ecuador: 16 Millionen Einwohner
Hauptstadt: Quito
14. März bis 19. Mai 2017
1162 km und 21'658 Hm mit dem Fahrrad gefahren.
Terra incognita
Hinter Vilcabamba beginnt für uns die Terra incognita, das unbekannte Land. In Reiseführern sucht man über diese 150 Kilometer bis zur Grenze nach La Balsa vergebens Infos. Yangana, Valladolid, Palanda, Bellavista, kleine Nester, in die sich kaum ein Fremder verirrt und wo es, wenn überhaupt, nur einfache Unterkünfte gibt. Wer die Hintertür nach Peru oder Ecuador wählt, wird sich lange an die Holperstrecke im Bus erinnern, schlafen unmöglich. Es gibt eigentlich keinen Grund den internationalen Grenzübergang La Balsa zu nehmen, weil es hier weit und breit keine touristischen Hotsports gibt. Also genau die richtige Strecke für uns Radfahrer!
Gesättigt und ausgeruht spulen wir am Montagmorgen bei Sonnenschein(!) los. Ganz ohne Zwang hätten wir es locker eine weitere Woche in der Hosteria Izhcayluma ausgehalten. Wenn heute Morgen Regentropfen gefallen wären, es hätte keiner Abstimmung bedurft, einen Pausentag anzuhängen.
Alle paar Minuten ein Auto, ansonsten herrscht auf der gut ausgebauten Betonstrasse tote Hose. Die Strasse gehört uns! So viel Ruhe gab es seit Wochen nicht mehr, absolut geniales Genussfahren. Die Strasse windet sich als unendliche Kurve durch tief eingeschnittene Täler und Schluchten und entlang steil abfallender Berghänge, ein Garant für fantastische Ausblicke und viele, viele Höhenmeter. Verursacht durch die starken Regenfälle der letzten Wochen umkurven wir alle paar hundert Meter Hangrutsche, wühlen uns durch Staub und klebrigen Morast. Das Räumen braucht Zeit, derweilen suchen sich Autos und Busse abenteuerliche Umwege, mitunter nahe am Abgrund. Überall liegen Steine auf der Strasse, unbewusst ziehen wir die Köpfe ein und hoffen, dass nicht gerade jetzt welche auf unsere Birnen fallen, an manchen Stellen ist die Betonfahrbahn quer oder über dutzende Meter längs der Mittellinie durchgebrochen. Die Bewohner leben in ständigem Ringen mit den Elementen, Gewinner gibt es keine, nur sehr viel Arbeit. Gott wird uns helfen.
Unsere gefahrene Strecke versuchen wir so oft als möglich zu aktualisieren. Sie ist zu finden unter der Rubrik „Bereiste Länder und gefahrene Routen 2012-2017“.
Wir werden es heute nicht mehr bis Valladolid schaffen. Seit dem Nachmittag sind wir im Parque National Podocarpus unterwegs, das letzte Dorf liegt Stunden hinter uns, es dämmert und noch immer suchen wir einen Platz zum Zelten. Beim letzten Pausenhalt hätte es prima gepasst; wir haben das Übernachten nicht angesprochen, in der Hoffnung, einen besseren Unterschlupf zu finden. Wie blöd. So schön sich das schroffe, abgelegene Tal zeigt, es ist denkbar ungünstig zum Campieren. Der Hang fällt gleich neben der Strasse steil ab, nirgends genügend Platz für unser Zelt. Nebel. Fast unbemerkt und fies hat sich die feuchte Watte um uns gelegt, inzwischen ist es dunkel. So hat es keinen Sinn weiter zu fahren, ist auch zu gefährlich. In einer Linkskurve stellen wir ausserhalb der Leitplanke rasch unser Zelt auf, löschen die Stirnlampen wenn sich ein Auto nähert. Bitte keinen Besuch mehr heute. Eine heisse Suppe mit Teigwaren wärmt und bald heisst es definitiv Lichter löschen. Acht Stunden Velofahren, 1750 Höhenmeter und doch nur 38 Kilometer geschafft. Einfach nur noch Hundemüde.
Nach einer ruhigen Nacht fahren wir früh los, das Frühstück muss ausfallen (Kaffee und Tee haben wir dabei, aber nichts zu futtern). Nach wenigen hundert Metern ist der Pass geschafft. Hier steht doch tatsächlich, wir trauen unseren Augen nicht, eine grosse Tafel die auf Bären im Nationalpark hinweist. Hier Bären? Gestern Abend hat Pit die restlichen Teigwaren nur wenige Meter neben dem Zelt entsorgt . . .
(Im Parque National Podocarpus leben neben anderen Säugetieren Bären, Pumas, Bergtapire, Hirsche und Füchse. Ca. 600 Vogelarten sind hier heimisch. Von ungefähr 3000 Pflanzenarten kommen ca. 40% nur hier vor. Den Namen hat der Park vom einzigen einheimischen Nadelbaum Ecuadors, der Steineibe Podocarpus. Durch illegalen Holzschlag und verbotene Jagd ist der Park, der zu den artenreichsten Gebieten der Welt zählt, gefährdet)
20 km Abfahrt bis Valladolid. Links und rechts der Strasse über weite Täler hinweg Regenwald soweit das Auge reicht. Baumfarne, Palmen und andere wunderschöne exotischen Pflanzen und Blumen. Eine der schönsten Strecken in Ecuador für uns, ohne Zweifel. Lange, steile Abfahrten lassen Bremsen und Felgen heiss werden, besser zwischendurch Pausen einlegen und abkühlen lassen. Für den Vorderradschlauch von Beas Rad war es diesmal doch zu heiss. Schei . . ., schon wieder einen Platten. Zum Glück ist der Schlauch nicht beim Abwärtssausen gerissen.
Immer wieder verengen vor Tagen niedergegangene Schlammlawinen die Strasse, oder was man so nennen will, auf eine Spur. An heiklen Stellen wurde kein Strassenbelag eingebaut, Wasser sickert auf die Fahrbahn; wir schieben durch klebrige Pappe, dass es ist eine Freude ist! Die Abgeschiedenheit, das Alleinsein mit der wunderschönen Natur macht das Radfahren für uns zum besonderen Erlebnis.
Ab Bellavista sind wir definitiv auf einem besseren Feldweg unterwegs. Bis zur Grenze nur noch Schotterpiste. Entgegenkommende Autofahrer hupen, winken uns zu und brettern doch mit unvermindertem Tempo vorbei; uns bleibt in dichten Staub gehüllt regelmässig die Luft weg. Da sehen die Ecuadorianer keinen Widerspruch. Rücksicht heisst auf Spanisch consideración, viele scheinen den Begriff nicht zu kennen (wie wir in mancherlei Hinsicht täglich erfahren).
Zumba, der letzte namhafte Ort vor der Grenze. Wir finden einen sehr guten Chinesen, schlagen uns die Mägen nochmals mit einem super feinen Chop Suey voll. Vom langweiligen ecuadorianischen Reis- und Hühnereinerlei haben wir die Nase nach zwei Monaten gestrichen voll. Nach einem vielversprechenden Start in Tulcan wurde das Land für uns schon bald zur kulinarischen Wüste. Besonders unverständlich für uns, wenn man das grosse Angebot an Gemüse, Kartoffeln, Salaten und Früchten auf den Märkten sieht.
Wie andere Radreisende schreiben, haben es die letzten 30 km zur Grenze in sich, nicht wenige nehmen ein Taxi oder den lokalen Bus.
Es gibt zwei klare Meinungen, wie WIR die Strecke bis zur Grenze zurücklegen wollen. Bea kennt die von Pit seit langem, was das Busfahren angeht. Wir satteln die Räder und rollen los. Bis abends beschränkt sich die Konversation auf das Notwendigste.
Welcher Teufel hat die Strassenbauer damals geritten, dass sie einen solch steilen Weg in den Urwald geschlagen haben?! Manche Rampen sind so steil, sandig-rutschig und von Gräben durchzogen, dass wir uns nicht getrauen, im Sattel abwärts zu rollen. Nur mit vereinten Kräften lassen sich die schweren Räder über Steigungen wuchten, eins ums andere. Wie halb tote Fliegen kriechen wir aus der brennenden Sonne in den spärlichen Schatten – so ein Schinderei, idiotisch, das zu „fahren“!
Fahren heisst im Schrittempo von Loch zu Loch hüpfen und immer hoffen, dass Bremsen und Räder die Tourtour aushalten. Dafür ist die abgeschiedene, dünn besiedelte Gegend mit ihrem dichten saftig grünen Regenwald eine Wucht (findet zumindest Pit). Ja, wir werden heute gefordert wie kaum je zuvor.
Endlich, weit unten la Balsa am Rio Chinchipe. Eine Handvoll Häuser, Hühner und Pferde auf der Strasse (in Peru ist es tatsächlich eine richtige, geteerte Strasse!). Der junge ecuadorianische Grenzer in korrekter Uniform nimmt es höflich genau. Wir geniessen das letzte grosse Pilsener und warten, bis sich das Gewitter verzogen hat. Auf der anderen Flussseite heisst es erst mal vor dem kleinen Büro warten, niemand interessiert sich für uns. „Internationaler Grenzübergang“, wäre es nicht gross angeschrieben, man würde es nicht glauben.
Nach einiger Zeit kommt ein Typ in Shirt und verwaschenen Jeans angeschlendert und bittet uns Platz zu nehmen. Etwas umständlich füllt er die Computermaske aus und knallt uns die Stempel in die Pässe. 180 Tage dürfen wir bleiben, super! Der Typ hat ganz schön einen in der Birne. Später sitzen wir mit ihm und seinen Kumpels vor dem einzigen Hostal im Ort und warten, dass wir ein Zimmer kriegen. Klar, jetzt wird das peruanische Bier probiert; sie lassen die Flaschen kreisen und eigentlich muss uns heute Abend niemand zum Trinken überreden. Willkommen in Peru!
Wir bleiben in den Anden
Cuenca besitzt eine gepflegte Altstadt mit schönen Kolonialbauten der Spanier und repräsentativen Gebäuden der Stadtverwaltung im „republikanischen Stil“ des 19. Jahrhunderts. Die Altstadt wurde 1999 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. Wir wohnen für drei Tage an der Plaza Abdón Calderón in einem wunderschönen Altbau mit Blick auf die neue, wegen diverser Erdbeben nie ganz fertiggestellten Kathedrale, die 10'000 Gläubigen Platz bietet. Unsere fünf Mitradler seit Chunchi sind in der Nähe in einem Hostal abgestiegen, erledigen Reparaturen und suchen in den nächsten Tagen nach Ersatzteilen und passenden Reifen. (Kein Bedarf bei uns. Wir haben zwei neue Pneus und diverse Ersatzteile aus der Schweiz mitgebracht, im Wissen, dass es hier in Südamerika schwierig ist, Ersatz zu bekommen, besonders in den nächsten Reiseländern Peru und Bolivien).
Unklar ist, wer weiter durch die Anden oder an der flacheren Küste treten will. Immer noch sind diverse Strassen wegen Erdrutschen gesperrt, was die Routenplanung unsicher macht.
Auf meine Frage an Bea, ob wir nicht die um einiges einfachere, weniger schweisstreibende Route entlang der Küste nehmen sollten, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Auf keinen Fall! Viel zu heiss, zu feucht, zu flach, zu langweilig. Zu schön ist die Landschaft hier im Gebirge“. Zum Glück sind wir uns da einig. Für uns ist und bleibt die Panamericana entlang der Anden der Rote Faden, an den wir uns mehr oder weniger halten wollen.
Kann man an gewissen Tagen die Berge sehen weil es mal nicht regnet und uns der Nebel vom Hals bleibt, zeigt sich Ecuador für uns von seiner schönsten Seite. Die Natur in ihren vielen Grüntönen ist grossartig!
Gerne verlassen wir Cuenca am frühen Morgen. Ausgenommen das was die Spanier gebaut und die Inkas hinterlassen haben bieten Städte kaum Beschauliches. Dörfer erleben wir als grosse Baustellen. Überall strecken sich rostige Armiereisen wie Kaktusstacheln gegen den Himmel, viele fensterlose Bauruinen die seit Monaten, ja Jahren keine Pflasterkelle gesehen haben, glotzen uns aus finsteren, hässlichen Löchern an. Ein Baustil lässt sich beim besten Willen sowieso nicht erkennen.
Gibt es Baubewilligungsverfahren? Braucht es Finanzierungsnachweise? Baut man in der Hoffnung, dass das Geld reicht und falls nicht, ist eben die sauer verdiente Kohle samt dem Haus futsch? (Wie wir hören, zahlen Hausbesitzer erst Steuern, wenn das Gebäude fertig gebaut ist. Wenn dem so ist, erklärt das vieles).
Kein Haifischgebiss sondern die Höhenkurve über 400 km von Cuenca bis an die peruanische Grenze bei La Balsa. 11'800 Meter teilweise steile Aufstiege, 13'700 Meter rassige Abfahrten. Höchster Pass 3450 m ü.M.
Nein, Ecuador ist nicht flach, entsprechend geschrumpft sind unsere Tagesetappen. Mehr als Durchschnittlich 45 km bei gut 1'000 Höhenmetern pro Tag schaffen wir selten. Wir haben ja Zeit.
Weit und breit keine Übernachtungsmöglichkeit, zwei, drei Häuser und ein Restaurant, mehr ist hier nicht. Regen tagsüber war schon, nachts sieht es ähnlich trüb aus. Bis Ona ist es zu weit. Wir fragen den netten Wirt des Restaurants, ob er uns helfen kann. Raum hat er leider keinen, aber da, nebenan in der Wiese, steht ein schlichter Bretterverschlag. Dürfen wir darin campieren? Si, claro! Super, rasch stellen wir unser Zelt ins Trockene und machen dem erneut einsetzen Regen die Lange Nase. Wieder mal Glück gehabt.
40 Kilometer bis San Felipe de Ona. Bei sehr wenig Verkehr und guter Strasse bleiben wir erst mal auf gut 3000 m, lassen es ruhig angehen. Nach wenigen Kilometern taucht vor uns ein Radfahrer auf, erst auf den zweiten Blick als solcher zu erkennen. Unglaublich, was der (oder sie?) aufgepackt hat! Alle paar hundert Meter hält er zum Verschnaufen an, landet nach unsicheren Schlenkern zweimal im Strassengraben, kann sein Rad kaum mehr aufrichten. Es ist Jo, ein junger Japaner, seit drei Jahren in Europa, Afrika und Nordamerika on Tour, jetzt ebenfalls auf dem Weg in den Süden. Gute Reise, Jo! Bestimmt fahren wir uns irgendwann wieder über den Weg.
In einem schönen Hostel in San Felipe de Ona quartieren wir uns ein, ohne nicht einen Kilometer vorher noch einen Platten flicken zu müssen. Wieder so eine beschissene Glasscherbe von einer der vielen achtlos aus dem Autofenster geworfenen Bierflaschen. Warum werfen wir eigentlich den ganzen Müll, darunter viele Kehrichtsäcke und zerbrochene Flaschen, nicht zurück auf die Strasse? Weil sicher die Falschen Reifen wechseln müssten. Ein Aufreger bleibt die Sauerei trotzdem.
Nach einer ruhigen Nacht holen wir unsere Rösser aus der Garage. „Unser“ Japaner muss gestern spät abends angekommen sein, sein immer noch schwer beladenes Rad hat unseren Gesellschaft geleistet. Von ihm keine Spur. Er wird wohl noch völlig erschöpft in den Federn liegen.
Saraguro, ein 3000 Seelennest, das seinen Namen nach dem indigenen Volk der Saraguros hat, erreichen wir am späten Samstagnachmittag. Im Hotel Samana Wasi dürfen wir unsere Räder gleich in die Lobby rollen, tropfend nass wie wir sind. Da sind die Kolumbianer und Ecuadorianer sehr hilfbereit und grosszügig, auch das sichere Unterbringen der Velos in Hotels klappt immer super. Hoffentlich sind unsere Kleider bis morgen einigermassen trocken. Wie überall gibt es keine Lüfter, schon gar keine Heizung, manchmal nicht mal ein Fenster, das sich öffnen lässt.
Müde fallen wir früh in die Federn, das elende Pissewetter lässt uns wenigsten rasch einnicken.
Das gibt’s doch nicht! Mitten in der Nacht, es ist tatsächlich gerade Mitternacht durch, weckt uns laute, plärrende Musik aus nahen Lautsprechern. Oh Señor, oh Madre, behüte uns . . . Eine Viertelstunde wird uns eingetrichtert, dass heute heiliger Sonntag ist. Religion ist im katholischen Ecuador eine öffentliche Angelegenheit. Erschöpft versuchen wir wieder einzuschlafen. Das tägliche 6-Uhr-Glockengeläut in Teilen der katholischen Innerschweiz bleibt uns im Vergleich als netter Morgengruss in Erinnerung. Andere Länder, andere Sitten.
Warum im „Tal der Hundertjährigen“ keine Hundertjährige leben
Vilcabamba, ein spezieller Ort in einem speziellen Tal, könnte man annehmen, würde man den Schlaumeiereien der Ortsansässigen glauben. Die angebliche Tatsache, dass im „Tal der Hundertjährigen“ überdurchschnittlich viele sehr alte Menschen leben wurde schon vor Jahrzehnten wissenschaftlich als Mythos widerlegt, ja als systematische Übertreibung der Alten zu Werbezwecken für das Dorf entlarvt. Selbst die Senioren aus Amerika und europäischen Ländern, die sich im Tal schöne Villen gebaut haben und ihren Lebensabend an der Wärme verbringen machen die Behauptung nicht wahrer. Gerne glaubt der Mensch, was er glauben will. Esoteriker sind überzeugt, dass das „Herz der Erde“ an diesem Ort liegt.
Wie auch immer, uns gefällt das grüne Tal mit seinem milden Klima. Die Hosteria Izhcayluma, zwei Kilometer südlich von Vilcabamba, kommt uns nach langem Ritt durch kulinarisches Dürregebiet mehr als recht. Fantastisch, was die deutschen Inhaber in Erinnerung an die alte Heimat auftischen lassen. Wir könnten den ganzen Tag futtern! Nie vorher haben urbayerische Knödel und würziges Gulasch so gut geschmeckt!
Einen gemütlicheren Ort für eine Pause nach harten Etappen und als Vorbereitung für das nahe Peru könnten wir uns kaum vorstellen. Sehr zu empfehlen! (http://www.izhcayluma.com/de/)
Auf der „Strasse der Vulkane“
Alexander von Humboldt nannte das breite Tal zwischen den beiden Gebirgsketten Cordillera Occidental und Cordillera Central „Strasse der Vulkane“. Auf ca. 500 km reihen sich ab Tulcan an der Grenze zu Kolumbien entlang unserer Panamericana beidseitig 52 Vulkane auf, 18 von ihnen gelten als aktiv. Höchster der Feuerberge und gleichzeitig höchster Berg Ecuadors ist der Chimborazo mit 6267 m, gefolgt vom bekannten Cotopaxi mit 5897 m, südlich der Hauptstadt Quito. Das tönt sehr spannend und verspricht tolle Ausblicke, aber eben nur wenn das Wetter mitmacht.
Wir werden diesbezüglich nicht verwöhnt, ja es scheint fast, als würden sich die beiden Gebirgsketten absichtlich hinter dichten Wolken verstecken. Hier und da wird uns ein kurzer Blick durch den Türspalt gewährt, den mächtigen Gipfel des Chimborazo erspähen wir kaum eine halbe Minute.
Die Etappe von Mocha nach Riobamba hat es in sich. Wir kurbeln uns bei Sonne, Regen, Rücken- und Gegenwind auf satte 3600 m ü.M. hoch. Nur in Kirgistan und China war die Luft für uns dünner. Geschafft!
Wie schnell sich die hart erarbeiteten Höhenmeter hinunter nach Riobamba in Luft auflösen . . . im Wissen, dass wir morgen am nächsten Berg einen neuen Anlauf nehmen?! Man muss Velöler sein um zu verstehen, dass das ständige Auf und Ab hier in den Anden tatsächlich grosse Befriedigung verschaffen kann.
Nach Riobamba wird die Strasse schmaler, der Verkehr ist kaum noch der Rede wert. Mehr als noch vor Quito nerven uns kläffende und schnappende Hunde. Erstmals sehen wir, dass auch Einheimische zu Fuss wütend angebellt werden. Genügsam, manchmal an der Grenze zur Gleichgültigkeit wie wir die Ecuadorianer erleben, nehmen sie die vielen freilaufenden Hunde – für uns unverständlich - einfach hin. Selten werden Hunde zurückgerufen, man quittiert das Schauspiel allenfalls mit breitem Grinsen und verschränkten Armen. Schwierig da gelassen zu bleiben . . .
In den Bergen gestrandet
Nach einer ruhigen Nacht im Hotel Europa im beschaulichen kleinen Alausi pedalen wir weiter Richtung Chunchi. Nur eine kurze Etappe. Das wechselhafte Wetter mit nachmittäglichen und nächtlichen Schauern macht keine Lust auf Zelten. Mit etwas Planung findet sich immer ein günstiges Hotel, die Länge der Tagesetappen variiert darum stark. Das kleine Bergdorf Chunchi in den zentralen Anden, 2400 m ü.M., klebt an einem steilen Westhang; immerhin gibt es drei Hotels, ein paar Beizen und Busverbindungen nach Riobamba und Cuenca.
Bis morgens um fünf hält das üble Rauschen vor dem Fenster an. Regen, Regen, Regen . . . Wir drehen uns nochmals im warmen Bett und sind froh nicht im Zelt zu liegen.
Die heutige Etappe wird lang und anstrengend, darum wollen wir früh los. Aber es kommt anders. Nach einem kräftigen Frühstück mit Jose und Aldo, Vater und Sohn aus Californien, die mit dem Rad, resp. Motorcycle südwärts pedalen, werden wir auf der Strasse ausgangs Chunchi aufgehalten. Eine gute halbe Stunde vorher habe eine Gerölllawine die Strasse verschüttet, wird uns mitgeteilt. Niemand weiss etwas Genaues. Mist, wären wir wie vorgesehen früher losgefahren, hätte es vielleicht gerade noch gereicht.
Die E35 bleibt sicher bis morgen gesperrt. Später sickert durch, dass der Erdrutsch drei Kinder auf dem Schulweg verschüttet und mehrere Autos mit sich in die Tiefe gerissen hat. Beschädigt wurden ebenfalls einige Häuser. Eine Tragödie für das Dorf; das Leben scheint für Momente still zu stehen.
Wir checken in einem günstigeren Hotel ein; bis morgen warten heisst die Devise für uns sechs Radfahrer (inzwischen haben sich Debbi und Lothar aus Kanada zu uns vier gesellt).
Letztendlich warten wir drei Tage in Chunchi. Gemäss Auskunft der Polizei bleibt die Panamericana noch drei bis fünf Tage gesperrt, je nach Wetter und jedenfalls solange bis alle Verschütteten geborgen sind. Seit zwei Tagen gibt es im ganzen Dorf kein Wasser, die Bomberos (Feuerwehr) verteilen mit Zisternenwagen braunes Flusswasser mit dem wenigstens die Spülkästen der Toiletten aufgefüllt werden können.
Es gibt eine Umfahrung von 13 km, d.h. 700 Höhenmeter runter zum Fluss sausen und auf der anderen Talseite über etliche Serpentinen wieder hoch zur E35 spulen. Bisher war die Brücke über den Fluss nicht passierbar, jetzt am Donnerstagmorgen ist sie endlich offen; sofort packen und nichts wie los! Sogar die Sonne zeigt sich.
Der langanhaltende ausgiebige Regen der letzten Tage hat die Bergflanken in vollgesogene Schwämme verwandelt die irgendwann das Wasser nicht mehr halten können. Überall ergiessen sich Drecklawinen zu Tal, verschütten auch unsere Umfahrungsstrasse. Für ein kurzes Stück nimmt uns ein Pickup der Gemeinde mit, mit dem Fahrrad wäre es zu gefährlich. Wir waten und stemmen uns vorbei an grossen Baumaschinen durch klebrigen Schlamm. Schuhe, Fahrräder, Gepäck, wir selber, alles schlammgrau. Mit gegenseitiger Hilfe ist der Umweg nach Stunden geschafft; wir stehen wieder auf der E35 und sind froh, dem Schlammassel heil entronnen zu sein. Wir dürfen weiterreisen während sich die Einheimischen ans Aufräumen machen müssen.
Bis nach Cuenca, der drittgrössten Stadt Ecuadors mit 280'000 Einwohnern, 1557 von den Spaniern gegründet, sind es für uns vier teilweise strenge Bergetappen mit einem 3600 m hohen Pass. Das Wetter . . . aber lassen wir das.
Gestern, am 30. April, sind wir müde aber wohlbehalten in Cuenca angekommen, haben mitten in der Altstadt ein wunderschönes Zimmer gefunden, in dem wir uns nun ein paar Tage einnisten.
340 Kilometer trennen uns noch von Peru.
Weiter auf der Panamericana
Am Sonntag, 16. April, lassen wir Quito hinter uns. Schönes, warmes Wetter und wenig Verkehr machen das Pedalen angenehm, ja wir dürfen sogar ein Stück mit Fahrradenthusiasten auf abgesperrten Strassen mitfahren. Quito hat die tolle Idee von Bogota übernommen. Schön wäre, wenn Taxi- und Busfahrer etwas von der sonntäglich erzwungenen Rücksichtnahme auf Radfahrer in die nächste Werktagswoche mitnehmen würden.
In Latacunga entfliehen wir der lärmigen Panamericana für zwei Tage und lassen uns bequem per Bus in die Berge fahren. Der Quilotoa, ein 3914 m hoher, seit 800 Jahren schlafender Vulkan mit seinem faszinierenden, 250 m tiefen Kratersee, ist eines der bekanntesten Wandergebiete in Ecuador. Der Krater lässt sich in vier bis sechs Stunden umwandern, je nach Kondition. Wir lassen uns nur auf ein Teilstück ein, die dünne Luft macht gehörig zu schaffen. Schon allein die zweistündige Busfahrt ab Latacunga macht den Ausflug zum besonderen Erlebnis. Einfach unglaublich an welch steilen Hängen Weizen, Kartoffeln, Mais, Bohnen, Kohl und anderes Gemüse angebaut werden.
Wer sich auf die Busfahrt nach Sigchos einlässt, bekommt Spektakuläres geboten. Die schmale, zeitweise holprige Strasse windet sich in vielen Haarnadelkurven steil in Schluchten hinunter und auf der anderen Talseite – manchmal bleibt fast die Luft weg – in nicht minder vielen Kurven himmelwärts. Natürlich gibt es nirgends Leitplanken. Dort, wir trauen unseren Augen kaum, klebt tatsächlich ein Traktor mit Pflug an einer steilen Bergflanke, kriecht entlang einer Krete den Berg hoch um dann weiter links in senkrechter Falllinie seine Furchen talwärts zu ziehen. Wahnsinn! Fasziniert vom Schauspiel bleibt der Fotoapparat leider im Rucksack.
Wir ziehen den Hut vor den Indigenas, diesen kleinen, feingliedrigen, freundlichen und fröhlichen Menschen, die hier in den Bergen bis auf 3900 m ü.M. Landwirtschaft betreiben und in einfachsten Verhältnissen leben. (Nach international geltender Definition werden diejenigen Bevölkerungsgruppen, die Nachkommen einer Bevölkerung sind, die vor der Eroberung, Kolonisierung oder der Gründung eines Staates durch andere Völker in einem räumlichen Gebiet lebten, und die sich bis heute als ein eigenständiges „Volk“ verstehen und eigene soziale, wirtschaftliche oder politische Einrichtungen und kulturelle Traditionen beibehalten haben als indigene Völker bezeichnet).
Heute sind wir in Ambato, einer Kleinstadt 120 km südlich von Quito angekommen. Fast wäre Bea von einem Taxi zu Fall gebracht worden und wenig später bietet ihr eine junge Ecuadorianerin ihr einjähriges Mädchen zum Kauf(!) an. Fahren wir heute im falschen Film? Den Tag – es regnet wieder mal - rettet dann ein feines Nachtessen; wir bekommen feines conejo (Kaninchen) vorgesetzt, eine willkommene Abwechslung für unsere hungrigen Radfahrermägen!
Quito
Vor zehn Tagen sind wir in Quito, der auf 2850 m ü.M. höchstgelegenen Hauptstadt der Welt, angekommen. Hinter uns liegen anstrengende aber landschaftlich tolle Etappen. Mit jedem Tag ist uns Ecuador mit seinen freundlichen, hilfsbereiten Menschen mehr ans Herz gewachsen.
Nach zwei Pausentagen hat Fritz sein Stahlross wieder gesattelt und ist alleine weiter Richtung Peru geradelt. Er will seinen bereits gebuchten Rückflug in die Schweiz nicht verpassen. Fritz, wir wünschen dir für deine 2100 Kilometer bis Lima alles Gute, immer Luft in den Reifen und möglichst wenig überschwemmte Strassen. Es hat Spass gemacht, mit dir unterwegs zu sein! Toi, toi, toi!
Ecuador, erste Eindrücke
Bei unserem 43 Reiseland Ecuador haben wir das Gefühl, definitiv in Südamerika angekommen zu sein. Kolumbien hat uns gut gefallen, keine Frage. Für uns war das Land ein idealer Einstig in einen neuen, fremden Kontinent, den wir nur vom Hörensagen und von Berichten anderer Radreisender kennen. Länder vergleichen ist immer heikel, in jedem Fall persönlich gefärbt und subjektiv.
Trotzdem, wir staunen wie unterschiedlich die beiden Nachbarländer auf uns wirken. Gleich nach der Grenze bei Tulcan überziehen gepflegte Wiesen, Äcker und Hecken das bergige Land wie ein riesiger Flickenteppich, selbst auf steilsten Bergflanken werden Kartoffeln, Mais, Bohnen, Tomaten, Rüben und anderes Gemüse angebaut. Viele Felder sind so steil angelegt, dass sie nur in mühsamer Handarbeit bewirtschaftet werden können. Überall wird gearbeitet, Müssiggang sieht man selten, Spielkasinos und Billardlokale haben wir bisher keine gesehen.
Genial: in Restaurants findet man hier tatsächlich Gemüsebeilagen und Salatteller auf der Speisekarte – richtiger grüner Salat, aromatische Tomaten, Karotten und Kohl. Das lassen wir uns nicht entgehen!
Wohltuend für Augen und Nasen ist, dass kaum Abfall herumliegt. Damit hängt wohl auch zusammen, dass es hier weniger Hunde gibt als in Kolumbien, zudem schreibt die Regierung vor, dass Strassenhunde kastriert werden müssen, wie man uns berichtet. Die, die es gibt, lassen uns bis auf wenige Ausnahmen in Ruhe (Fritz wird der Aussage nur bedingt zustimmern: er wurde vor ein paar Tagen übel in die Wade gebissen).
(Unsere gefahrene Strecke aktualisieren wir wenn möglich täglich unter der Rubrik „Bereiste Länder und Routen, 2012 – 2017“)
Motorräder sind fast gänzlich aus dem Verkehr verschwunden, dafür gibt es mehr Autos. Die Busse stinken ebenso erbärmlich wie in den zwei Monaten zuvor und viele der Kleinbusfahrer rasen genau so dämlich nah an uns vorbei, wie vorher.
Sehr angenehm für unsere Ohren ist, dass hier in Ecuador mal wieder in normaler Lautstärke „normale“ Musik zu hören ist. Die immer gleichen, viel zu laut hämmernden Herz-Schmerz-Bumm-ba-Bumm-ba-Rhythmen an jeder Strassenecke in Kolumbien waren mit der Zeit nervig. Wer hört schon von frühmorgens (einmal war es 05.30 Uhr) bis abends bei voller Lautstärke Helene Fischer und das sieben Tage die Woche?! Bei allem Respekt, Kolumbien hat in Sachen Musik viel mehr zu bieten.
Das sind unsere ersten Eindrücke von Ecuador. Wir bleiben noch eine Weile da und freuen uns auf alles, was noch kommt.