Chile: 18 Millionen Einwohner

Hauptstadt: Santiago de Chile

 

30. September 2017 bis 26. April 2018

2'747 km und 16'013 Höhenmeter mit dem Fahrrad gefahren.

Ab 26.3.2018


Blick auf den Lago Del Desierto, hinten in der Mitte erkennbar der Fitz Roy.
Blick auf den Lago Del Desierto, hinten in der Mitte erkennbar der Fitz Roy.
Die schroffe Felsnadel des Cerro Torre zeigt sich leider nur kurz.
Die schroffe Felsnadel des Cerro Torre zeigt sich leider nur kurz.

Farben, Farben, Farben – umwerfend schön, der patagonische Herbst!

Am Dienstagmorgen schaffen wir es pünktlich um kurz nach sieben Uhr morgens am acht Kilometer entfernten Fährhafen von Villa O'Higgins zu sein. Nur mit Mühe bahnt sich das frühe Morgenlicht nach und nach einen Weg durch die tiefhängenden dunklen Wolken. Eigentlich sollte man sich um diese Zeit nochmals im Bett drehen und die Wärme geniessen, wir aber sind froh, dass es weitergeht; das Herumsitzen und Abwarten wird rasch nervig (und teuer). 

Peter und Esther aus Holland und ein junges Pärchen aus Argentinien verladen ihre Räder ebenfalls. Ein halbes Dutzend Backpacker, die zu Fuss nach El Chaltén wandern, wuchten ihre grossen Rucksäcke unter Deck; bis auf vier Plätze ist das kleine Fährboot voll. Zwei Stunden dauert die ruhige Fahrt zum 60 km entfernten Candelario Mancillo. Der chilenische Grenzer knallt uns den Stempel in den Pass, erst 21 Kilometer weiter, am Lago Del Desierto, macht sein argentinischer Kollege am Abend dasselbe.

Stefan Siegrist, bekannter Schweizer Extrembergsteiger, schaffte 1999 die erste Winterbegehung der Westwand des Cerro Torre (3133 m). 2010 konnte er zusammen mit Thomas Senf und Dani Arnold eine Winter-Erstbesteigung des Torre Egger (2685 m) innerhalb von nur 3 Tagen im Alpinstil ohne Fixseile und Materialdepots verbuchen.

Die Herbstfarben sind umwerfend schön!
Die Herbstfarben sind umwerfend schön!
Nur bis nach dem Mittag ist der Fitz Roy gut sichtbar, dann hüllen ihn die Wolken wieder ein.
Nur bis nach dem Mittag ist der Fitz Roy gut sichtbar, dann hüllen ihn die Wolken wieder ein.

Innerhalb von zwei Wochen hat Rot in allen Nuancen das Grün und Gelb der Bäume und Büsche verdrängt. Die verschwenderischen Farben des patagonischen Herbstes hauen uns fast um. Über unseren Köpfen ziehen ein halbes Dutzend Andenkondore ihre Kreise. Sooo schön! Wir schauen, staunen und geniessen . . . immer wieder steigt ein eigentümliches Kribbeln über den Rücken zum Kopf, brennen die Augen . . . Dankbarkeit, hier sein und geniessen zu dürfen, trifft unsere Gefühle wohl am ehesten.

An der Grenze zu Argentinien ist Schluss mit Schotterstrasse. Den roten Teppich haben uns die Argentinier für die sechs Kilometer bis zum Lago Del Desierto nicht ausgerollt, im Gegenteil, ein schmaler Trampelpfad verliert sich vor uns im Gebüsch. Wir wissen in etwa was uns erwartet, trotzdem, streckenweise ist das Vorwärtskommen schlicht eine grosse Sauerei im wahrsten Sinne des Wortes. Am Abend waschen wir vor dem Nachtessen erst mal die Velos, das Gepäck und unsere Schuhe im Bach beim Zeltplatz. Schlamm lässt sich nass am besten abwaschen. Kurz vor der Grenze kam uns Kersten, eine Backpackerin aus den USA, mit zwei Argentiniern entgegen. „We lost the way and walked maybe on a horse or sheep trail. There must be a better way“ meint sie lachend. Nein, nein, liebe Kersten, ihr seid nicht vom Weg abgekommen, der Pferdetrampelpfad, der aussieht als hätte eine Rotte Wildschweine die Sau rausgelassen, IST der Wanderweg! 

 

Unsere gefahrene Strecke versuchen wir so oft als möglich zu aktualisieren. Sie ist zu finden unter der Rubrik „Bereiste Länder und gefahrene Routen 2012-2018“.

Auf den sechs Kilometern bis an den Lago Del Desierto mühen wir uns über Stunden ab.

Nach einer windigen, nassen Nacht auf dem Campingplatz am Lago Del Desierto (keine sanitären Einrichtungen – wie der Wald wohl in der Hochsaison aussieht, wenn Dutzende ihre Geschäfte hier verrichten?) nehmen wir am Morgen das Fährboot (saftige 45 US$ pro Nase). In der Schotterstrasse bis El Chaltén steht das Wasser teilweise knöcheltief, Pfütze reiht sich an Pfütze; der schmutzig graue Himmel sorgt dafür, dass die Dreckwasserlachen nicht austrocknen. Heute kommt nur ein warmes Zimmer mit (sehr) heisser Dusche in Frage. Pit seine Schuhe triefen und unsere Füsse (welche Füsse?) spüren wir kaum noch vor Kälte. Egal, tempi passati, wir sind im touristischen El Chaltén angekommen, lediglich in eine Hintertasche hat eine Wurzel ein Loch gerissen, sonst sind wir heil. 

Adios, El Chaltén!
Adios, El Chaltén!
Der Fitz Roy im letzten Abendlicht, vom Lago Del Desierto aus gesehen.
Der Fitz Roy im letzten Abendlicht, vom Lago Del Desierto aus gesehen.
Wir können uns an den Farben nicht satt sehen!
Wir können uns an den Farben nicht satt sehen!

Ab 13.3.2018


Ideal für eine ruhige Zeltnacht!
Ideal für eine ruhige Zeltnacht!
Ruhiges Waldcamp abseits der Strasse.
Ruhiges Waldcamp abseits der Strasse.

Villa O'Higgins

Am 23. März erreichen wir den kleinen Ort Villa O'Higgins. Hier ist die Carretera Austral (vorläufig) zu Ende. Aktuell wird an mehren Stellen weitergebaut. In 25 bis 30 Jahren soll die Nord-Süd-Verbindung fertig gestellt sein.

Die zweite Hälfte ab Coyhaique war für uns das Highlight zum Velofahren; die schneebedeckten Berge und glasklaren Flüsse und Seen, der sich nun rasch herbstlich färbende Wald, die rauhe, grandiose Natur mit dem kapriolen schlagenden Wetter – der Süden Patagoniens hat viel zu bieten und fordert. Die Carretera Austral ringt uns auf der zweiten Hälfte täglich um die tausend Höhenmeter ab. Nach gemütlichem Bummeln auf guter Strasse folgen stets unvermittelt Schlaglöcher und grober, rutschiger Schotter, nicht unerwartet, aber doch tückisch, vor allem wenn wir es mal sausen lassen. Der Kopf muss immer mitfahren. Meist mager ist das Lebensmittelangebot in den wenigen Orten an der Strecke, ebenso rar werden die Möglichkeiten ein Zimmer oder Cabana zu finden. Wer hier wohnt, muss aus hartem Holz geschnitzt sein.

Am Fähranleger Rio Bravo teilen wir uns mit Esther und Peter aus Holland für eine Nacht das Wartehäuschen. Hier, am Anfang der Strasse, ist nach der letzten Fähre nichts mehr los - abgesehen von einer niedlichen Maus, die uns halb versteckt hinter einem Schokoladenpapier vorwurfsvoll mit ihren grossen Augen mustert und eher widerwillig, wie es scheint, aus dem Müllcontainer flüchtet. Wir zwängen unsere Zelte in den trockenen, windgeschützten Raum und kochen das Abendessen. Nach einer ruhigen Nacht steigen wir morgens bei dunklem Himmel und ersten Tropfen wieder in die Sättel. 

Ein kleines Fährboot, nur für Hiker und Biker, soll uns morgen in zwei Stunden nach Candelario Mancillo, in die Nähe der Grenze zu Argentinien, bringen – aber nur, wenn der Wind das zulässt. Wir nehmen uns im gemütlichen Hostal el Mosco ein Zimmer und warten ab. Es soll vorkommen, dass Reisende mehr als eine Woche auf ruhigeres Wetter warten müssen . . . 

Nur dem Langsamreisenden zeigen sich die kleinen Schönheiten am Wegrand.
Nur dem Langsamreisenden zeigen sich die kleinen Schönheiten am Wegrand.

Ein kleiner, etwas versteckt stehender Shelter mit Kamin im Nirgendwo, wo viele Radfahrer absteigen, wird unser Nachtlager. Wir suchen in der weiteren Umgebung mühsam nach Brennholz, dann fängt es erneut an zu giessen. Triefend nass tauchen überraschend ein holländisches Pärchen und eine Amerikanerin auf. Jetzt wird es eng. Kein Problem, Radfahrer sind da flexibel und einfallsreich. Wir rücken vor dem wärmenden Feuer zusammen, kochen und liegen schon bald in den Schlafsäcken. Heftig rüttelt der Wind am Dach, Regen peitscht gegen die Holzwände. Egal, wir schlafen prima und das bisschen Nieselregen am anderen Morgen kann uns die gute Laune nicht verderben.

Sonne und eine Viertelstunde später Regen, das ist hier normal.
Sonne und eine Viertelstunde später Regen, das ist hier normal.

Ab 8.3.2018


Vor uns der wunderschöne General Carrera Lake.
Vor uns der wunderschöne General Carrera Lake.
Herbstliches Patagonien
Herbstliches Patagonien

Patagonien vom Schönsten!

Ab Coyhaique wird die Landschaft offener, weite Viehweiden drängen den Wald an die Berghänge zurück; so macht das Pedalen bedeutend mehr Spass. Der Herbst lässt erste Bäume gelb und rot leuchten, der Winter ist nicht mehr weit. Nach einer Regennacht erstrahlen heute morgen die Berggipfel rundum in reinem Weiss. Bis knapp unter 2000 m ü.M. liegt erster Schnee.

Temperaturen nachts um fünf Grad, tagsüber kaum mehr als zwölf Grad, lassen uns die warmen Klamotten und Handschuhe auspacken. Pit muss wohl oder übel unter die Shorts lange Unterhosen anziehen; die Kniegelenke vertragen Kälte auf Dauer schlecht. Die Wollmütze bleibt 24 Stunden auf den Ohren. Wenigsten schiebt der kalte Wind meist von hinten oder bläst uns zumindest nicht frontal aus Südwest ins Gesicht.

Wir haben unsere Essensvorräte in Coyhaique im grossen Supermarkt nochmals kräftig aufgestockt und einmal mehr gestaunt, wie wörtlich manche Chilenen Selbstbedienung nehmen. Überall stehen halbvolle Getränkeflaschen, Joghurtdrinks und angebrochene Kekspackungen herum, liegen Pfirsichsteine im Shampooregal und nicht wenige beobachten wir, wie sie ungeniert von den süssen Trauben kosten, als wären sie auf einem orientalischen Basar. Niemand muss sich wundern, dass Kleider mit Stahlkabeln vor Diebstahl gesichert werden, dass Batterien in verschlossenen Glaskästen ausliegen und dass selbst Schokolade(!) mit einem Sicherungsstreifen versehen wird.

Wir mischen uns nicht ein, obwohl es Pit arg in den Fingern juckt. Andere Länder, andere Sitten. Doppelmoral erfahren wir nicht zum ersten Mal in Südamerika, wo Religion einen wichtigen Stellenwert im Leben der Menschen zu haben scheint.

Wir müssen uns an bitterkalte Morgen gewöhnen.
Wir müssen uns an bitterkalte Morgen gewöhnen.

Ein Blick auf die Landkarte des südlichen Patagoniens zeigt, dass nur noch kleine Dörfer und Siedlungen an der Carretera Austral liegen, ganz zu schweigen von Städten, die gibt es hier nicht mehr. Hundert Kilometer ohne Einkaufsmöglichkeit, ohne Zeltplatz, vielleicht mit dem einen oder anderen Wildcamp, d.h. einer kleinen Wiese ohne irgendwelche Infrastruktur, kommen vor. Bei gutem Wetter ist das überhaupt kein Problem, wenn dem Himmel aber nicht zu trauen ist und man jeden Tag mit Regen rechnen muss und die Temperaturen unangenehm windig-kalt in den Keller fallen, Kleider über Tage nicht mehr trocken zu kriegen sind – typisch patagonisches Wetter eben – dann sind wir froh um jeden Unterschlupf der sich mit Maps.me und dem inzwischen unentbehrlichen iOverlander App (Zeltplätze, Einkaufsmöglichkeiten, Trinkwasser, Wildcamps, Hostels, Bankomaten, Tankstellen usw. usw.) aufspüren lässt. Schon genial, diese kleinen Helfer!

Im Nationalpark Cerro Castillo finden wir auf dem Pass, 1100 m ü.M., einen idyllischen Campingplatz im Wald. Der Holzofen mit Boiler wurde am Morgen von den Rangern kräftig eingeheizt, allerdings hält uns das fast kalte Wasser vom Duschen ab. Morgen auf dem nächsten Zeltplatz werden wir nur ein bisschen mehr stinken.

 

Unsere gefahrene Strecke versuchen wir so oft als möglich zu aktualisieren. Sie ist zu finden unter der Rubrik „Bereiste Länder und gefahrene Routen 2012-2018“.

Der Rio Ibanez hat hier ein sehr breites Flussbett.
Der Rio Ibanez hat hier ein sehr breites Flussbett.

Ab Villa Cerro Castillo wird auf 15 km an der Strasse gebaut, den groben, unverdichteten Schotter zu fahren, grenzt an Schinderei. Grandios dafür das Panorama mit den spitzen, verschneiten Felsnadeln des Cerro Castillo im Hintergrund. Umwerfend schön die schroffen Berge!

„Es wird den ganzen Tag regnen“. Mehr als ein Schulterzucken und ein Grinsen kann uns die Warnung des Farmers, der den kleinen Zeltplatz Los Nires nahe der Laguna Verde betreibt, nicht entlocken. Es hat keinen Sinn zu bleiben, wir wollen weiter. Auf den nächsten 110 Kilometern bis Puerto Rio Tranquilo gibt es keinen Laden, lediglich Cabanas nach gut 80 km. Der Mann hat recht, es regnet den ganzen Tag. Die Piste wird matschig, überall Pfützen, Baustellen. Mehr als einmal duschen uns blinde Chilenen mit ihren Pickups, wenn sie bei vollem Tempo durch die Schmutzlachen brettern. Dummheit auf vier Rädern.

Frische Avocados, von dieser Köstlichkeit haben wir sicher schon einen halben Baum verdrückt.
Frische Avocados, von dieser Köstlichkeit haben wir sicher schon einen halben Baum verdrückt.

Nass bis auf die Haut, müde und hungrig, erlaubt uns ein Bauer in seinem grossen Holzschuppen das Zelt aufzuschlagen. Feuer machen natürlich verboten, aber wenigsten können wir im Trockenen die Kleider wechseln und kochen. Dass der junge, nasse, schmutzige Hofhund freudig wild um uns wuselt, ist nur anfangs lustig. Durch nichts lässt er sich vertreiben. Erst als Pit ihn anbindet, können wir ruhig essen.

Wunderschön ist das Pedalen anderntags entlang dem General Carrera Lake nach Puerto Rio Tranquilo. Das helle Blau des Wassers in der Sonne(!) erinnert an den Lake Tekapo in Neuseeland vor zwei Jahren. Abends wieder Regen. Wir legen einen Ruhetag ein, sitzen bei wärmendem Feuer am Fenster. Nein, heute morgen hätte es mindestens zehn Pferde gebraucht, um uns zum Weiterfahren zu bewegen.

Nach einem grausligen Nieselregentag und einer Nacht, in der es wie aus Kübeln giesst, wagen wir uns hinter dem heissen Ofen hervor und treten kräftig in die Pedale. Erst am Nachmittag zeigt sich die Sonne und der grosse See leuchtet in seinem kitschigen Blau. Wir können uns kaum satt sehen, darum mehr Fotos vom General Carrera Lake, auch wenn sie nur schlecht weitergeben, wie schön es hier wirklich ist.

Wunderschön! Fahren entlang dem Rio Baker.
Wunderschön! Fahren entlang dem Rio Baker.
Und dann tauchen plötzlich schroffe Felsnadeln aus den Wolken auf. Grandios!
Und dann tauchen plötzlich schroffe Felsnadeln aus den Wolken auf. Grandios!
Morgen am Lago Bertrand.
Morgen am Lago Bertrand.

Nach einer Nacht in Puerto Bertrand am gleichnamigen See, folgen wir dem blauen Band des Rio Baker. Der Fluss führt viel Wasser, schäumt über Stromschnellen und zwängt sich durch enge Schluchten. Das Fahren hier ist anstrengend, das ständige Auf und Ab geht gehörig in die Beine. Je länger der Velotag, je länger die Abschnitte, die wir schieben. Entschädigt werden wir Glückspilze dafür mit sonnigem Wetter und einer tollen, bergigen Landschaft. Auf solche interessanten Tage haben wir lange gewartet. Patagonien vom Schönsten! Verkehr gibt es nur wenig, heute treffen wir keinen einzigen Radfahrer. Der gut 3'000 Seelen zählende Ort Cochrane ist erreicht. Bis Villa O'Higgins sind es noch 235 Kilometer. 

Wir geniessen das Pedalen entlang dem Rio Baker am frühen Morgen.
Wir geniessen das Pedalen entlang dem Rio Baker am frühen Morgen.
Blick vom Lago Negro zum General Carrera Lake.
Blick vom Lago Negro zum General Carrera Lake.

Ab 1.3.2018


Früher Morgen kurz vor Chaiten.
Früher Morgen kurz vor Chaiten.

Auf der Ruta CH-7 nach Süden

Mit uns haben sich noch vier junge Japaner mit Fahrrädern in Puerto Montt für die Fähre nach Chaiten entschieden. Bei klarem Wetter legt das Schiff, schwer beladen mit LKWs, Baumaschinen, Personenwagen und Passagieren verspätet um 23.30 Uhr ab. Wir versuchen in unseren Sitzen eine einigermassen bequeme Schlafstellung zu finden und den doofen, brutalen amerikanischen Blockbuster auszublenden, der im Bord-TV läuft. 

Carretera Austral

Die Carretera Austral (offiziell Ruta CH-7) ist eine rund 1350 Kilometer lange Strasse in Chile von Puerto Montt nach Villa O’Higgins im Süden. Der Bau der Strasse ist noch nicht vollendet.

Lange Zeit war der Süden Chiles nur per Flugzeug oder Schiff zu erreichen. Der Panamericana-Highway führte nicht durch diese unwegsame Gegend, sondern über Argentinien nach Feuerland; der Grund liegt in der dichten Bewaldung des Gebietes.

Im Jahre 1976 begannen unter Diktator Augusto Pinochet die Bauarbeiten. Die Carretera Austral bildete das aufwendigste Grossprojekt in Chile im 20. Jahrhundert. Mehr als 10.000 Soldaten wurden zeitweise für den Bau eingesetzt. Der Strassenbau erwies sich als äusserst schwierig, da die Landschaft von Fjorden, Gletschern und Gebirgszügen durchzogen ist.

Mehr als 20 Jahre wurde an der Strasse gebaut. Die reine Nord-Süd-Route erwies sich als technisch unmöglich. So führen rund 1150 km von Norden nach Süden und rund 229 km von West nach Ost. Der nördliche Teil zwischen Puerto Montt und Chaitén ist noch nicht fertiggestellt.

Die Carretera Austral übt auf Radfahrer aus aller Welt eine grosse Anziehungskraft aus. In der Hochsaison von Dezember bis Ende Februar sind Hunderte auf der Strasse durch Patagonien unterwegs.

Der Bau kostete rund 200 Millionen US-Dollar. Trotzdem sind Teile nur einfache Schotterpisten, Wartung und Pflege daher aufwendig. (aus Wikipedia)

Fähre nach Chaiten.
Fähre nach Chaiten.
Adios Puerto Montt!
Adios Puerto Montt!

Grandios, das Lichtspiel am frühen Morgen, als wir uns der Küste nähern. Wie in einem Science Fiction Film tauchen die schroffen Berge und vorgelagerten Inseln aus dem Nebel auf, mystisch angestrahlt von der aufgehenden Sonne, die durch den mit schweren dunklen Wolken verhängten Himmel drängt. Momente der Ruhe und des in-sich-Gehens. Wir freuen uns auf die kommenden Wochen.

Bei bewölktem, kühlem Wetter schwingen wir uns in die Sättel – Carretera Austral, jetzt gehörst du uns! Die ersten drei Tage treten wir auf weitgehend geteerter Strasse durch dichten Wald; Radfahrer kommen uns täglich aus dem Süden nur einzelne entgegen. Der grosse Run ist vorbei, der Herbst nah. Einen Platz zum Zelten zu finden, gestaltet sich oft mühsam und nervig. Überall Stacheldraht und abgeschlossene Gatter, an ein Gewässer zu kommen ist nahezu unmöglich. Alles wie gehabt.

Der 17. Dezember 2017 war ein rabenschwarzer Tag für das kleine Dorf Villa Santa Lucia. Eine Geröll- und Schlammlawine, ausgelöst durch heftigen Regen und einen Gletscherabbruch in einen kleinen Bergsee, hat Teile des Dorfes verwüstet und Häuser unter sich begraben. Mindestens 12 Menschen sind umgekommen, darunter acht Mitglieder einer Familie, die erst vor wenigen Tagen in den Ort gezogen war. Wir gehören zu den ersten, die die bislang verschüttete Strasse wieder befahren dürfen (während der letzten zweieinhalb Monate gab es eine Gratisfähre ab Chaiten, die die Unglücksstelle in sieben Stunden auf dem Seeweg umfahren hat). Die Verwüstung ist gigantisch. Uns schaudert ob der Gewalt der Natur.

Schönes Wildcamp. Ein wärmendes Feuer gab es lange nicht mehr.
Schönes Wildcamp. Ein wärmendes Feuer gab es lange nicht mehr.

Da sind sie wieder, „unsere“ Japaner von der Fähre! Wir werden die vier jungen Typen noch einige Male sehen, mit ihnen auf einem Campingplatz am Rio Simpson ein Dorm teilen, geschützt vor dem heftigen Regen. Das himmlische Nass wird auf der Carretera Austral zu unserem beinahe regelmässigen Begleiter, mal nieselnd, dann wie aus Kübeln. Zum Glück gibt es Unterkünfte mit Heizungen. So üppiges Grün wie hier im chilenischen Patagonien braucht viel Regen; kein Problem für uns, wir sind ja wasserdicht.

Wald, Wald, Wald. Weit oben ein Gletscher. Ein paar Wasserfälle und Seen aber vor allem viel, viel Wald. Carretera Austral, du geizt mit deinen Reizen. Das haben unsere Radlerfreunde aus Österreich geschrieben. Wir schliessen uns dem bis Coyhaique an. Für uns ist das Velofahren oft eintönig, wenig spektakulär, der Erlebnisfaktor gering. Für die zweite Hälfte bis Villa O'Higgins hoffen wir auf mehr Fleisch am Knochen.

Das oft wechselnde Wetter beschert tolle Lichtspiele.
Das oft wechselnde Wetter beschert tolle Lichtspiele.

Ab 17.2.2018


Am malerischen Lago Villarina.
Am malerischen Lago Villarina.
Die schön gefiederten Graukopfgänse sehen wir häufig.
Die schön gefiederten Graukopfgänse sehen wir häufig.

Siete Lagos

Das Seengebiet im nördlichen Patagonien erstreckt sich von San Carlos de Bariloche über das 100 km nördlich gelegene San Martin de los Andes in Argentinien bis in die Grenzregion zu Chile. Im waldreichen, wunderschönen Gebiet gibt es nicht nur sieben Seen (siete lagos) sondern effektiv über 40 grosse Gewässer und kleine Lagunen. Jetzt, in der Hauptsaison, geniessen viele Touristen die schöne Natur in den Nationalparks Lanin und Nahuel Huapi. Die gut ausgebaute Strasse zieht zudem zahlreiche Radfahrer an, bis auf wenige Ausnahmen sind vor allem Argentinier und Chilenen mit Gepäck unterwegs. Ab und zu kommen uns Gruppen europäischer Touris auf Mountainbikes entgegen. Nicht alle sind das Radfahren gewöhnt. Keuchend, mit zu niedrig eingestellten Fahrradsätteln und zu kleinen Bikes, am Berg schiebend und einem eher gequälten Gesichtsausdruck sieht das mehr nach Mühe als nach Vergnügen aus. 

Ausblick auf den Lago Lacar.
Ausblick auf den Lago Lacar.

Eigentlich müssten die Tourveranstalter normale Strassenräder ausleihen. Auf Wegen und Pfaden Mountainbike fahren ist hier so gut wie unmöglich, alles Privatbesitz und abgesperrt. Pilze und Beeren suchen? Geht nicht, der Wald ist privat. Einen langen Sonntagsspaziergang über Felder und Auen, wie das viele Schweizer lieben? Hier nicht, vergiss es. Tore und Stacheldraht wo man hinsieht.

1907 wurde ein altes alemannisches Recht im Schweizer Zivilgesetzbuch unter Art. 699 eingetragen: „Das Betreten von Wald und Weide usw. . . . ist im ortsüblichen Umfange jedermann gestattet, usw. . . . „. Die liberale, bürgerliche Schweiz kennt also ein gewisses Recht auf das Land zugunsten aller. Wir nutzen diese Freiheiten in der Schweiz täglich, ohne uns im klaren zu sein, wie wertvoll sie sind. (Beat Kappeler, „Staatsgeheimnisse“, 2016, Verlag NZZ, Kapitel 6, Das offene Land). U.a. wegen vieler solcher Vorzüge bleibt die Schweiz für uns das lebenswerteste Land unter allen bisher bereisten Ländern. Heimat ist sie sowieso. 

Zelten in Villa la Angostura.
Zelten in Villa la Angostura.
Lago Nahuel Huapi
Lago Nahuel Huapi

Das heisse Hochsommerwetter und die oft idyllisch an Gewässern gelegenen Zeltplätze lassen uns das Draussensein geniessen. Der Verkehr hält sich in Grenzen. Viel zu arbeiten gibt es für uns an den immer wieder sehr steilen, aber zum Glück nur kurzen Rampen. Den Strassenbau hätten die Chilenen besser nicht bei den Ecuadorianern abgeschaut.

Beim Zelten am Lago Falkner liegt der tiefblaue See direkt vor unserer Nase. Wasser in den Toiletten gibt es morgens aber erst ab neun Uhr, dann werden die Pumpen gestartet (und die stinkenden Toilettenschüsseln gespült). Für die Chilenen beginnt der Tag morgens um neun/halb zehn, daran gewöhnen wir uns nur schwer.

Pissewetter!
Pissewetter!
Der Ofen brummt. Bis am anderen Morgen ist alles trocken.
Der Ofen brummt. Bis am anderen Morgen ist alles trocken.
In Puerto Varas stellt eine Frau ihre kleine Wiese hinter dem Haus zum Zelten zur Verfügung. Wir dürfen Bad und Toilette benützen. Bis am Abend stehen neun Zelte dicht beisammen.
In Puerto Varas stellt eine Frau ihre kleine Wiese hinter dem Haus zum Zelten zur Verfügung. Wir dürfen Bad und Toilette benützen. Bis am Abend stehen neun Zelte dicht beisammen.

Jetzt hat er uns doch erwischt, der Regen. Nach fünf Wochen und fünf Tagen tollem Sommerwetter pisst es den ganzen Tag. Nass erreichen wir den Paso Fronterizo, nach einer kalten Abfahrt reihen wir uns triefend nass und schlotternd in die lange Reihe bei der Personenkontrolle am chilenischen Zoll ein. Bea zittert mit blauen Lippen, vielleicht hat der nette Zöllner darum mit uns Erbarmen und schaut nur kurz in die Taschen. Käse und Salami sind gerettet . . .

Alles in Butter. Der Ofen im gemütlichen Nurdachhaus glüht, die Schuhe dampfen, wir nach einer sehr heissen, langen Dusche auch. Bei Nieselregen schleichen wir ins Restaurant zum Abendessen. Wir haben das Gefühl, heute ein feines Nachtessen an der Wärme verdient zu haben.

Zwei Tage bleibt es bedeckt und kühl, aber regenlos. Die Hafenstadt Puerto Montt hat das, was wir brauchen. Ein Appartement mit Küche, die Fähre nach Süden und grosse Supermärkte. Ab Mitternacht schippern wir am Donnerstag in neuen Stunden nach Chaiten.

Der Osorno im Morgenlicht.
Der Osorno im Morgenlicht.
Ein schönes, altes Bauernhaus.
Ein schönes, altes Bauernhaus.
Vor Puerto Montt gibt es grosse Milchwirtschaftsbetriebe.
Vor Puerto Montt gibt es grosse Milchwirtschaftsbetriebe.

Ab 10.2.2018


In Chile gibt es viele Vulkane, diverse sind aktiv, wie dieser.
In Chile gibt es viele Vulkane, diverse sind aktiv, wie dieser.

Schönes, aber teures Chile

So viel Verkehr wie heute Morgen hatten wir in Südamerika noch nie. Sommerferien, Wochenende und tolles, heisses Wetter locken die Chilenen in die Autos, ohne die geht hier nämlich gar nichts. Zum Glück bleiben an diesem Nachmittag viele im hässlich-staubigen Ausflugsort Lican Ray am Lago Calafquen hängen. Keine Ahnung, was die Ausflügler an dem Ort finden. Die gesalzenen Preise werden es kaum sein.

Teuer und meist überfüllt sind die Zeltplätze am See sowieso. Bis 40 Franken zahlen Chilenen pro Nacht für einen dreckigen, graslosen Platz unter Bäumen. Wir staunen einmal mehr, was sich die Leute hier leisten.

Das Durchschnittseinkommen in Chile beträgt gem. Internetangaben ca. 1'400 US$ im Monat, wobei ca. 70% der Bevölkerung offenbar noch weniger verdienen. Für ein Bier, 3,3 dl, zahlt man im Restaurant schnell mal Fr. 4.50; für das teure „Kunstmann“, 0,5 l, blättert man bis Fr. 6.50 hin (z.B. in Constitucion). Sicher, es gibt im Land grosse Einkommensunterschiede, vor allem von Stadt zu Land.

Trotzdem kann man z.B. bei Häusern und Umschwung nicht automatisch auf Reichtum schliessen. Auf dem Land zahlt man für einen Quadratmeter Bauland um 35 Rappen; in der Regel werden Parzellen zu 5'000 m² angeboten, weniger geht kaum. Wie wir beobachten, werden viele Häuser in Leichtbauweise erstellt. Die Hauswände aus Holz sind sehr dünn, Isolationen haben wir nicht gesehen, Fenster in Einfachverglasung sind üblich, ob die Häuser eine Heizung haben, wissen wir nicht, Dachziegel leisten sich offenbar nur Vermögende.

Wie uns Einheimische erzählen, sind die Preise im Land in den letzten Jahren in die Höhe geschossen, während die Gehälter nicht in gleichem Masse gestiegen sind.

Geschafft! Wir haben uns auf die frühere Fähre geschmuggelt.
Geschafft! Wir haben uns auf die frühere Fähre geschmuggelt.

Am späten Nachmittag sind fast alle Zeltplätze abgeklappert. Echt schwierig, heute. Dann wendet sich das Blatt, einmal mehr dürfen wir auf privatem Grund bei einem kleinen Imbisstand für einen guten Preis unser Zelt aufschlagen. Der Kocher bleibt heute kalt; wir geniessen die feinen, heissen Empanadas mit einem roten Chilenen – eine Hand wäscht die andere -, strecken die Füsse aus und blinzeln in die untergehende Sonne – das Leben ist schön!

Wir erinnern uns schmunzelnd an eine Zeltnacht vor einigen Tagen bei einem älteren, netten Ehepaar auf ihrem Picknick- und Campingplatz. Für die Frau war es ein grosses Problem, uns den Preis zu nennen, weil wir keinen Motor an den Fahrrädern haben. Motorlose Fahrzeuge waren in der Preisliste schlicht nicht vorgesehen. 

Einmal nicht nur Wald - schönes, nördliches Patagonien.
Einmal nicht nur Wald - schönes, nördliches Patagonien.
Brillenibisse sehen wir häufig.
Brillenibisse sehen wir häufig.
Wir haben Glück, dürfen auf privatem Grund zelten.
Wir haben Glück, dürfen auf privatem Grund zelten.
Am Lacar Lake.
Am Lacar Lake.

Genial, das Pedalen entlang dem Panguipulli Lake! Das kristallklare Wasser verleiht den Seen hier ein fantastisch dunkles Blau.

Puerto Fuy, hier beginnt der Lago Pirihueico, ein fast 30 km langer Schlauch; Strasse gibt es keine, lediglich eine Fähre. Das Schiff ist den ganzen Tag ausgebucht, kein Platz für zwei Velos – das glaubt ihr ja selber nicht! Nach einigem Drängen ergattert Bea zwei Tickets für 15 Uhr. Vielleicht nimmt uns die Fähre zwei Stunden früher schon mit . . . Geschafft! Der Einweiser winkt uns ohne Kontrolle durch. Platz hat es für Velos auf so grossen Schiffen immer.

Nach einer ruhigen Nacht packen wir das tropfnasse Zelt in den Sack. Die grossen Temperaturunterschiede – tagsüber gegen 30 Grad, nachts knapp 10 Grad – lassen das Kondenswasser fliessen. Die Sonne wird erst spät hier am Nordhang auftauchen. Schotterstrasse. Staub, Staubwolke, Wirbelsturm. Nur wenige Autofahrer reduzieren das Tempo. Wieder einmal scheint uns, Südamerika bestehe aus einem grossen, staubigen Dreckhaufen, auf dem sich die Einheimischen mit Wonne suhlen. Warum tun wir uns das an? Niemand weiss das, wir (jetzt) am allerwenigsten.

Argentinien. Für ein paar Tage wechseln wir das Land. Hier, im asphaltlosen Abseits des Lanin-Nationalparks würde man keinen so modernen Grenzterminal erwarten.

Eine der Fähren über den Lago Pirihueico.
Eine der Fähren über den Lago Pirihueico.

Wieder mal in Argentinien

Die Strasse ist streckenweise so grobschotterig, dass nur Fahrradverrückte und Masochisten hier fahren. Maximal 35 km am Tag, mehr schaffen wir nicht. Und dann sind da noch die elenden Stacheldrahtzäune, die ein Zelten abseits verunmöglichen. „Reisst die Mauern ein“, lautet ein Songtext von „Volkstrott“, das möchten wir mit den Zäunen tun. Heute nicht, hier im Nationalpark haben das schon andere getan. Wir finden ein feines Plätzchen abseits der Strasse. Feuer machen ist wegen der hohen Waldbrandgefahr verboten (wild Zelten eigentlich auch).

Mit grossem Glück erbetteln wir auf der Strasse Wasser von Autofahrern. 2,5 l Wasser, die gleiche Menge Getränke für den morgigen Tag haben wir noch, und einen halben Liter Cola – das muss reichen. Das Gesicht ein wenig abspülen und Zähneputzen, mehr Waschen ist heute nicht drin, obwohl der Staub überall klebt. Kochen fällt sowieso aus.

Schön ist in diesen Breiten, dass es erst nach neun Uhr dunkel wird. Auf der Strasse ist es ruhig geworden. In der Nähe jagt ein Andenschakal, ein Wildhund, ähnlich einem Fuchs aber mit diesem nicht verwandt, nach Mäusen und Kaninchen. Mit der Ruhe wird der Kopf leer, das Pedalen war mental und physisch anstrengend; wir sind müde.

Bis auf undefinierbare, einem Bellen ähnliche Geräusche (?) und Getrampel in der Nacht, schlafen wir gut.

Zelten im Lanin Nationalpark.
Zelten im Lanin Nationalpark.

Das 24'000-Seelen-Städtchen San Martin de los Andes gefällt uns auf Anhieb. Im Touristenort am Lago Lacar herrscht Holz vor. Erstmals sehen wir etwas wie einen Baustil, viele Dächer sind einheitlich gedeckt, schön geschnitzte Holztafeln weisen auf die tollen, modernen Geschäfte hin, die Strassen sind asphaltiert und sauber, es gibt tolle Appartemente zu mieten und – ganz wichtig für uns – Supermärkte mit einem klasse Angebot! Der Ort ist nicht billig, wir meinen aber, seit einem Jahr kein so angenehmes, ja schönes Städtchen erlebt zu haben. Pausenzeit!

Augustin hat es Spass gemacht, Pit beim Fussballspielen zu fordern.
Augustin hat es Spass gemacht, Pit beim Fussballspielen zu fordern.

Ab 27.1. 2018


Morgen an der wunderschönen Laguna Galletue.
Morgen an der wunderschönen Laguna Galletue.

Holz, Holz und endlich wieder Berge

Die Strasse entlang dem Rio Bio Bio ist auch heute Samstag stark befahren. Neben dem üblichen Wochenendverkehr geniessen viele Chilenen zum Jahreswechsel ihre Sommerferien. Das schöne Wetter lädt zu Ausflügen und Picknicks an Flüssen und Seen ein. Wie schon Tage vorher überholen uns Dutzende Holztransporte, die die geschlagenen Kiefern und Eukalyptusstämme in nahe Sägewerke und Zellulosefabriken an der Küste transportieren. Also stets den Rückspiegel im Auge behalten. Gemütliches Bummeln kommt später.

Wie wir hören, wächst das Nadelholz bedingt durch das warm-feuchte Klima rasch; ausgedehnte Kiefernwälder links und rechts der Strasse lassen die grosse Bedeutung der Holzindustrie in Chile erahnen. Ganze Berghänge werden abgeholzt und wieder aufgeforstet. Für die Artenvielfalt der Pflanzen und Tiere sind solche Monokulturen allerdings fatal. Im 4200 Kilometer langen Andenstaat werden jährlich über 41 Mio. Kubikmeter Holz im Exportwert von mehr als 2 Mia. Dollar geschlagen.

In Nacimiento finden wir nach langem Suchen und dank Hilfe von jungen Leuten und der Polizei doch noch einen Zeltplatz, allerdings heisst es nach dem Einkaufen fünf Kilometer zurückfahren. Dafür geniessen wir als einzige Mohikaner – alle anderen Gäste sind Tagesausflügler und bis gegen zehn Uhr verschwunden – eine ruhige Zeltnacht. Dass ein Hund irgendwann am frühen Morgen unser Zelt markieren muss (gruusig, passiert schon das dritte Mal), darauf hätten wir verzichten können.

Hinter Collipulli steigt eine gewaltige Rauchwolke gegen den Himmel. Waldbrand. Bei der gegenwärtigen Trockenheit sind Brände häufig, nicht zuletzt darum verzichten wir auf ein Wildcamp nahe der Stadt am Fluss.

Südamerika hat viele Gesichter. Eines, das uns gefällt ist, dass man mit dem Fahrrad auch auf Autobahnen fahren darf (oder zumindest geduldet wird). Bis Victoria muss die N5 als Mittel zum Zweck herhalten, d.h., um möglichst rasch von den vielbefahrenen Strassen wegzukommen erdulden wir auf breitem Seitenstreifen den Höllenlärm und den Gestank vieler Lastwagen, ganz nach dem Motto der ehemaligen Schweizer Spitzenläuferin Anita Weyermann, „Gring ache u seckle“, resp. pedalen.

 

Einer zahlreichen Wasserfälle.

Plötzlich ist Bea ganz aus dem Häuschen, schreit und jubelt. Am Horizont zeigen sich majestätisch und wunderschön die ersten Vulkane, alle überragend die gleichmässige Pyramide des 3125 m hohen Llaima, der 2009 das letzte Mal Feuer spie – wie haben wir die Berge vermisst! Willkommen im Norden Patagoniens!

 

Im Norden Patagoniens

Nach Pausentagen im Kleinstädtchen Curacautin pedalen wir bei wenig Verkehr und blauem Himmel auf der gut zu fahrenden 181 nach Osten, Richtung argentinische Grenze. Das ständige Auf und Ab ermüdet, immer wieder keuchen wir auf steilen Rampen aufwärts, die zum Glück nie lang sind. Es kommen Erinnerungen an die steilen Strassen in Ecuador auf.

Suizandino Loge steht auf der Karte, das passt für die nächste Nacht, da wollen wir hin!

Der Zeltplatz gefällt auf Anhieb. Ruhig und schön gelegen, sehr sauber, gepflegt, nebenan das gemütliche Restaurant. Heute leisten wir uns eine feine Schweizer Rösti und ein zartes Steak zur Feier des Tages (die Loge ist nicht billig). An dieser Stelle könnten wir wieder einmal über die oft diskutierte Schweizer Gastfreundlichkeit debattieren. Was die Chefin mit Unfreundlichkeit, ja beinahe Arroganz, kaputt macht, bügeln die Volontärinnen aus der Schweiz und Deutschland spielend aus. Danke! Etwas mit Pferden rummachen reicht nicht, um eine gute Gastgeberin zu sein, Frau Franz. Sie müssen noch etwas üben. Über dem Restauranttresen steht treffend „ich Chef, du nix“.

 

Unsere gefahrene Strecke versuchen wir so oft als möglich zu aktualisieren. Sie ist zu finden unter der Rubrik „Bereiste Länder und gefahrene Routen 2012-2018“.

Mühsam, das Fahrad fahren.
Mühsam, das Fahrad fahren.

80 Kilometer Schotterpiste. Wir tauchen ein in das wunderschöne chilenische Seengebiet mit seinen Nationalparks, glasklaren Bächen, Flüssen und idyllisch gelegenen Seen und den urtümlich anmutenden Araukarien-Wäldern (Die Schuppentanne entstammt einer der ältesten Baumfamilien der Welt. Bereits vor 90 Mio. Jahren gab es ähnliche Tannen. Der immergrüne Baum wird bis 2'000 Jahre alt, steht heute auf der Roten Liste der bedrohten Pflanzen und darf nicht mehr gefällt werden. Der Handel ist weltweit verboten).

Die Piste ist wegen des groben Schotters teilweise recht mühsam zu fahren. Wir schieben zwischendurch die steilsten Anstiege und geniessen das immer noch warm-heisse Wetter. Allerdings heisst heiss auch trocken und damit viel Staub. Obwohl nur mässig Ausflugsverkehr herrscht – noch ist Ferienzeit – begreifen viele Autofahrer nicht, dass das Velofahren in einer riesigen Staubwolke keinen Spass macht, ja für uns gefährlich ist. Ärgern hilft nichts; wir fangen an, die ungehobelt fahrenden Dummköpfe systematisch auszubremsen. Warum so schnell auf der Strasse, wenn in eurem Land viele Mühlen unglaublich langsam malen, liebe Chilenen? Z.B. die chilenische Schnecken-Post. Zwei Tage nach unserem dreiwöchigen Auslandurlaub über Neujahr kommen die wichtigen Reisedokumente an. Sechs Wochen(!) war das Couvert von Bern nach Santiago unterwegs! Der Schweizer Botschafter hatte uns gewarnt und einen privaten Zustellservice empfohlen. Wir haben ihm nicht geglaubt. Aber was sind schon sechs Wochen. Am 20. Dezember 2017 lag das Couvert mit Abstimmungsunterlagen (für eineAuslandschweizerin) für die Eidg. Abstimmung vom 24. September 2017(!) im Briefkasten. Ziemlich genau vier Monate zuvor – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – 4 Monate(!) zuvor wurde das Couvert in Lüscherz am Bielersee nach Santiago de Chile auf die Reise geschickt! Einfach unglaublich! In Chile kann man schon mal ein Jahr(!) oder länger auf eine Baubewilligung warten. Drei Monate für eine Autoreparatur sind nicht ungewöhnlich. Also, warum auf den Strassen so schnell, liebe Chilenen? Ihr habt doch alle Zeit der Welt. 

Nach einem Kurzaufenthalt in Villarrica – die Preise im Touristenort hauen uns fast aus den Socken – gibt es nächste Woche einen kurzen Abstecher nach San Martin de Los Andes in Argentinien, bevor es südöstlich zurück nach Chile auf Puerto Montt zugeht. Wir freuen uns auf viel Natur und das Zelten und hoffentlich noch schöne Sommertage.

Die Araukarie, die chilenische Fichte oder Schuppentanne, wird bis zu 2000 Jahre alt.
Die Araukarie, die chilenische Fichte oder Schuppentanne, wird bis zu 2000 Jahre alt.

Ab 12.1. 2018


Lieber Heinz, liebe Veronica, herzlichen Dank für eure grosse Gastfreundschaft! Wir nehmen viele schöne Erinnerungen mit auf die weitere Reise! Es war eine tolle Zeit in Santiago.
Lieber Heinz, liebe Veronica, herzlichen Dank für eure grosse Gastfreundschaft! Wir nehmen viele schöne Erinnerungen mit auf die weitere Reise! Es war eine tolle Zeit in Santiago.

Einmal mehr dürfen wir grosszügige, gastfreundliche Menschen kennen lernen, die uns ein Dach über dem Kopf geben und uns kulinarisch verwöhnen. Können wir besser in ein neues Reisejahr pedalen? Herzlichen Dank euch allen!

¡Gracias, Soledad, por tu generosidad! Fue una gran experiencia.
¡Gracias, Soledad, por tu generosidad! Fue una gran experiencia.

Weiter südwärts

Nach angenehm zu fahrendem Radweg entlang des Rio Río Mapocho schleichen wir auf Nebenstrassen aus der Millionenstadt Santiago. Grosse, viel befahrene Strassen lassen sich in der Agglomeration kaum vermeiden. Bis Consepcion bietet die Strecke wenig Abwechslung, abgesehen von einigen Abschnitten auf der Ruta de Fruta. Hier erstrecken sich über viele hundert Hektaren Weinberge und über Quadratkilometer Olivenhaine bis zum Horizont. Gewaltig, diese riesigen Kulturen!

Selbst die Pazifikküste mag uns nicht zu begeistern. Graues, aufgewühltes Meer unter grauem, dauerbedecktem Himmel. Die Ortschaften figurieren auf unserer Skala zwischen nicht schön und hässlich. Vermutlich ist seit dem schweren Erdbeben und dem folgenden Tsunami 2010 noch nicht alles wieder aufgebaut. Wie auch immer, nach zwei Tagen Pause in Consepcion, einer Küstenstadt mit ca. 250'000 Einw., zieht es uns definitiv nach Osten, dem bekannten Seengebiet mit seinen Nationalparks im nördlichen Patagonien zu. 

Spezielle Begegnung am Strassenrad: eine Tarantel aus der Familie der Vogelspinnen. Das Tier hatte eine Körperlänge von 6 bis 7 cm.
Spezielle Begegnung am Strassenrad: eine Tarantel aus der Familie der Vogelspinnen. Das Tier hatte eine Körperlänge von 6 bis 7 cm.
¡Muchas gracias, Maria y Martìn! Es war eine interessante, tolle Zeit bei euch. Und erst die feinen Krautwickel, Maria . . . Hmmm!
¡Muchas gracias, Maria y Martìn! Es war eine interessante, tolle Zeit bei euch. Und erst die feinen Krautwickel, Maria . . . Hmmm!
Manche Quallen sind riesig. Auf keinen Fall die Tentakel anfassen!
Manche Quallen sind riesig. Auf keinen Fall die Tentakel anfassen!
Interview in der Tageszeitung "La Estrella" in Concepcion.
Interview in der Tageszeitung "La Estrella" in Concepcion.

Von San Pedro de Atacama, Chile, nach Salta, Argentinien

In San Pedro de Atacama wimmelt es von Touristen. Wie schon in den Ländern vorher bemerkt, sind mehr als drei Viertel von ihnen jünger als dreissig. Gibt es in Frankreich noch Franzosen? Ein paar wenige werden das Land am Laufen halten, der Rest macht in Südamerika Ferien, wie uns scheint.

Der höhere Lebensstandard von Chile gegenüber Bolivien schlägt sich in den Preisen nieder. Erst mal egal, uns läuft schon beim Lesen der Speisekarten vor den zahlreichen Restaurants das Wasser im Mund zusammen. Noch besser, wir finden ein ruhiges, bezahlbares Hostal mit Küche. Zusammen mit Valentina und Rico verwöhnen wir uns über Tage, bis die Bäuche beinahe platzen. Baguette mit Roquefort und herrliche Butter-Schokoladengipfel aus der French-Bakery, Spaghetti mit Lachs und Brokkoli, gefüllte Omeletten, Crêpes mit Caramelsauce, Fisch in Alufolie mit Kartoffelpüree, Salate, Gemüse und, und . . . Wow, sooo gut!! Der Nachholbedarf nach Bolivien und der Ochsentour entlang der Lagunen ist enorm. Velofahrer sind immer hungrig.

Entlang der Atacamawüste (Foto M. Wanning).
Entlang der Atacamawüste (Foto M. Wanning).
(Foto M. Wanning)
(Foto M. Wanning)
Nicht einfach, einen windgeschützten Zeltplatz zu finden.
Nicht einfach, einen windgeschützten Zeltplatz zu finden.

Nach fünf Tagen verlassen wir ausgeruht San Pedro Richtung Atacamawüste, in den Taschen Vorräte für ca. eine Woche. Wir haben uns die Route über den Paso Sico nach Argentinien vorgenommen (knapp die Hälfte der 530 Kilometer wird Schotterpiste sein) während Valentina und Rico über den Paso Jama nach Salta pedalen. Die Desierto de Atacama steht für eine der trockensten Regionen der Erde. In einigen zentralen Gebieten der 105'000 Quadratkilometer grossen Wüste ist seit Jahrzehnten kein Regen gefallen. Durchschnittlich fällt nur 0,5 mm Niederschlag pro Jahr.

Wir finden einen kleinen Canyon, wo wir unser Zelt vom Wind geschützt aufbauen. Ungefährlich, zur Zeit ist nicht mit Regen zu rechnen. Ja der Wind, spätestens ab Mittag bleibt er uns in den nächsten Tagen auf den Fersen. Schiebt erst aus Nordwest um irgendwann nachmittags auf Konfrontationskurs Süd zu drehen.

Aller Unkenrufe zum Trotz ist das Pedalen in der Wüste nie langweilig. Das liegt auch an den farbigen Blumenteppichen entlang der Strasse. Das Phänomen besteht im Erscheinen einer Vielfalt von Blumen zwischen September und November in Jahren mit – für eine der trockensten Wüsten der Welt – aussergewöhnlichen Niederschlägen.

Klimatisch hängt das Ereignis mit dem globalen Klimaphänomen El Niño zusammen, das eine Überhitzung der ufernahen Meeresströme bewirkt. Die Küstennebel (camanchacas), die sonst recht schnell verdunsten, enthalten dadurch ausreichend Feuchtigkeit, um über der Wüste abzuregnen. So wachsen und blühen in kurzer Zeit mehr als 200 Pflanzenarten. Blumen! Wie lange haben wir keine mehr gesehen!

Bei einem Kaffee den Sonnenuntergang geniessen. Die Atacama ist zu jeder Tageszeit ein Erlebnis.
Bei einem Kaffee den Sonnenuntergang geniessen. Die Atacama ist zu jeder Tageszeit ein Erlebnis.

Immer wieder halten wir an. Die Weite der Wüste, ihre Kargheit, die wunderschönen Pastellfarben der Vulkane rundum, Berg-Vizcachas (Hasenmäuse, der Familie der Chinchillas zugehörig), Wüstenfüchse, kleine Eidechsen, die Stille – Verkehr gibt es kaum – unsere Gefühle für diese grandiose Natur lassen sich nur schwer beschreiben. Wir saugen auf und speichern ab. Fotos sind eh nur ein billiger Abklatsch.

Im kleinen Nest Socaire stocken wir unseren Wasser- und Getränkevorrat auf, dass er für drei Tage reicht. Das wenige Gemüse hängt schlapp in den Kisten, trockene Bisquits, Büchsen-Thunfisch, ansonsten gähnende Leere im kleinen Laden. Das „Futter“ in den Taschen muss einfach reichen. Bis zum 270 km entfernten San Antonio de los Cobres in Argentinien gibt es keine Einkaufsmöglichkeit mehr, das war uns so nicht bewusst. Weiter vorne hat ein Jeep angehalten. Agenor und Sandra aus Brasilien spenden uns eine Flasche Wasser. Die kommt wie gerufen! Muchas gracias!

 

Unsere gefahrene Strecke versuchen wir so oft als möglich zu aktualisieren. Sie ist zu finden unter der Rubrik „Bereiste Länder und gefahrene Routen 2012-2017“.

Die wunderbar im gleissenden Mittagslicht leuchtende, hellblaue Laguna Salar de Talar.
Die wunderbar im gleissenden Mittagslicht leuchtende, hellblaue Laguna Salar de Talar.

Schluss mit asphaltierter Strasse. Der erste Pass, 4320 m, ist erklommen. Erst mal gibt es groben, tiefen Schotter unter die Räder, der Kraft kostet. Ab und zu heisst es schieben. Wir queren die Anden zum zweiten Mal. Abra Sico, 4458 m, Abra de Arizaro, 4310 m, Abra Chorillos, 4560 m, Abra Blanca, 4080 m. Trotz aller Mühen möchten wir in unserem Leben nie auf Berge verzichten. Die Tour ist wirklich der Hammer!

Die Chilenen bauen die Strasse bis an die Grenze neu. Reger Baustellenverkehr lässt uns auf die halbfertige, teilweise asphaltierte neue Strasse ausweichen. Zum Velofahren angenehm, trotzdem kommt Wehmut auf. Ein Fahrradklassiker in Chile/Argentinien geht weitgehend verloren.

Die Laguna Tuyaito.
Die Laguna Tuyaito.
Hier verläuft die Grenze Chile/Argentinien. Erst elf Kilometer weiter befindet sich der Grenzposten.
Hier verläuft die Grenze Chile/Argentinien. Erst elf Kilometer weiter befindet sich der Grenzposten.

Nach einer kalten Zeltnacht brechen wir früh auf. Noch lässt uns der Wind in Ruhe. Völlig unerwartet taucht sie vor uns auf, die grandioseste Lagune der bisherigen Reise, die wunderbar im gleissenden Mittagslicht leuchtende, hellblaue Laguna Salar de Talar. Genau wegen solcher Momente lohnt das Wühlen im Sand. Wir staunen sprachlos. Die Berghänge wie mit Mehl gepudert, rote Uferfelsen, weisse Boraxschichten, blaues Wasser – haben wir uns auf einen fremden Planeten gebeamt? Kalte Schauer laufen über den Rücken – einfach nur Megaschön!!

 

Nach der Laguna Tuyaito führt die Piste im Bogen nach Nordost. Auf der weiten Ebene beziehen wir ordentlich Prügel. Unser alter Freund fegt uns von den Rädern, fahren ist nicht mehr möglich. Schieben. Windhosen schmeissen uns schaufelweise Sand ins Gesicht. Wenn das so weiter geht, dann Gute Nacht.

Im Minencamp El Laco werden wir freundlich aufgenommen, trinken Tee, dürfen ein Zimmer beziehen und ein deftiges Nachtessen geniessen. Velofahrer sind hier willkommen. Herzlichen Dank, Juan-Carlos und Claudio, für eure Gastfreundschaft!