Belize, kleines Land mit grossen Gegensätzen
Der Grenzübertritt ist eine kurze Angelegenheit. Man fragt uns nach Zigaretten, Gemüse, Früchte, Alkohol, dann dürfen wir losradeln in das einzige Land Mittelamerikas, in dem Englisch gesprochen wird. Bis zur Unabhängigkeit 1981 hiess Belize Britisch-Honduras (22'966 km2, zum Vergleich die Schweiz mit 41'277 km2) und war britische Kolonie. In Belize, das zum Commonwealth gehört, leben knapp 370'000 Menschen von denen ca. ein Drittel afrikanische Vorfahren hat. Kreolen, Maya, Garifuna, Mestizen, Inder, Chinesen, deutschstämmige Mennoniten u.a. leben friedlich zusammen. Ein buntes Vielvölkergemisch, wie wir es bisher nicht erlebt haben.
Über Corozal pedalen wir durch kleine Dörfer auf überraschend guten Strassen ins Kleinstädtchen Orange Walk Town. Rasch fällt auf, dass kaum Abfall herumliegt, die Vorgärten um die Häuser aufgeräumt und die Rasenflächen sauber gemäht sind, very british eben. Wir fühlen uns willkommen. Die Belizer begegnen uns mit karibischer Fröhlichkeit, sind stets für einen Schwatz zu haben; maulfaul und unhöflich sind im Gegensatz die Chinesen, die das Monopol auf sämtliche Lebensmittelmärkte zu haben scheinen. Sich nach eineinhalb Jahren wieder mal auf Englisch unterhalten zu können, an das müssen wir uns erst gewöhnen.
Wir fahren nach einer lärmigen Nacht – vom Nachtklub im Parterre stand nichts im Hotelbeschrieb, auch sonst entsprach das Zimmer nicht den Angaben - auf dem Philipp Goldson-Highway Belize City zu. Die Geraden sind einmal mehr zum Gähnen, die Autofahrer weniger rücksichtsvoll als in Mexiko. Im Reiseführer steht, dass man Belize City ruhig auslassen kann. Nun wissen wir warum. Belizes Altstadt macht einen heruntergekommenen Eindruck, viele der schönen alten Holzhäuser verfallen, wegen schlechter Kaianlagen verzichten Kreuzfahrtschiffe auf einen Besuch. Vorsicht vor den eingefallenen Kanalabdeckungen! Die Chancen in ein stinkendes Loch zu fallen sind deutlich höher als beklaut zu werden. Dass man an jeder Strassenecke von Obdachlosen angebettelt wird, passt gut in unser Belizebild (**). Westliche Touristen begegnen uns in der Stadt wenige. Auf die vorgelagerten Inseln mit den weissen Sandstränden und tollen Tauchgründen am Barriere Reef, da wollen die Touris hin.
(** Mit einem Förderprogramm versucht die Regierung Rentner aus der ganzen Welt ins Land zu locken. Wer mindestens 45 Jahre als ist, eine Rente von lumpigen 2'000 US$/Monat aus einer Pensionskasse oder Versicherung nachweisen kann, ist dabei. Hausrat und ein persönliches Transportmittel dürfen einmalig ohne Steuern und Gebühren eingeführt werden. Ein qualifizierter Rentner wird von allen Steuern und Abgaben auf sämtliche Einkommen oder Erlösen befreit (!), die ihm aus Quellen ausserhalb von Belize zufliessen unabhängig davon, ob das Einkommen aus einer Berufstätigkeit oder aus einem Investment stammt!
Im Gegensatz leben ca. 40% der Bevölkerung unter dem Existenzminimum, die Arbeitslosenquote beträgt offiziell 10%, ca. 18% der Erwachsenen sind Analphabeten, Kinderarbeit und -prostitution sind ein Problem. Das durchschnittliche Einkommen in Belize ist schwer zu beziffern, weil die Verdienste extrem unterschiedlich sind. Gemäss Weltbank 310 US$/Monat im Jahr 2011. Die Preise für Lebensmittel haben Euro-Niveau. Alles im Internet nachzulesen.)
Verschwitzt und müde freuen wir uns nach dem langen, heissen 100 km-Tag auf eine Dusche und ein weiches Bett. Leider ist die zweite Unterkunft ebenfalls ein Reinfall. Kein freies Zimmer, obwohl eine schriftliche Bestätigung vorliegt. Kurz vor dem Eindunkeln finden wir doch noch ein (teures) Hotel. Sind wir im falschen Film? Sind die Erwartungen an ein neues Reiseland (einmal mehr) zu hoch oder sind wir nach Südamerika einfach zu verwöhnt? Belize, du kannst uns (noch) nicht begeistern.
Unsere gefahrene Strecke versuchen wir so oft als möglich zu aktualisieren. Sie ist zu finden unter der Rubrik „Bereiste Länder und gefahrene Routen 2012-2018“.
Leoparden, Tapire, Krokodile und eine interessante Begegnung
Bald sind wir uns einig, dass wir über die Hauptstadt Belmopan Richtung guatemaltekische Grenze fahren und den Abstecher nach Dangriga an der Küste auslassen. Bei allem guten Willen stinken uns die langweiligen, flachen Highways, die sich durch immer gleiches Buschland ziehen. Stundenlang in derselben Stellung auf den Drahteseln zu sitzen, fordert seinen Tribut. Nacken und Arme sind seit Wochen verspannt, die Schultern schmerzen. Ja, wir sind nicht mehr zwanzig . . .
Die Dokumentarfilmer Richard und Carol Foster betreiben seit vielen Jahren das Savanna Guest House (nur drei Zimmer), 45 km südwestlich von Belize City. Umgeben von Regenwald und Savanne haben sich die beiden auf ihrem riesigen Grundstück einen Lebenstraum verwirklicht, in dem Tiere und Pflanzen absoluten Schutz geniessen.
Über vierzig Dokumentarfilme und unzählige Filmsequenzen haben die beiden Naturliebhaber u.a. für TV-Sender wie National Geografic und BBC gedreht. Wir sind heute die einzigen Gäste. Richard führt uns durch die Halle, die als Studio dient. In grossen Vitrinen wachsen Urwaldpflanzen, fliessen Bäche, sind Nisthöhlen nachgebildet. Nach dem Drehen werden Wildnis- und Studioaufnahmen zusammengeschnitten, ohne dass beim fertigen Film Unterschiede auffallen. Solche Produktionen sind sehr aufwendig und daher unglaublich teuer. Spannend für uns, einen Blick in die Film-Trickkiste werfen zu dürfen.
Richard klagt, dass seit den achtziger Jahren die Tier- und Pflanzenvielfalt in Belize stark gelitten habe. Insbesondere das Barriere Reef leide seit vielen Jahren durch Überfischung und das Harpunenjagen. An manchen Tagen seien Dutzende Fischerboote mit einigen hundert Unterwasserjägern unterwegs. Immer wieder würden Farmer Leoparden und Pumas trotz striktem Schutz schiessen, würden Einheimische seltene Vögel als Jungtiere aus den Nestern stehlen und für teures Geld verkaufen. Jetzt, mit 75, weiss Richard nicht, wie es für ihn in Belize weitergeht.
Bekannt über Belize hinaus ist der Belize Zoo and Tropical Education Center, der sich als bester kleiner Tiergarten der Welt bezeichnet (vor einiger Zeit gab es einen interessanten Dokumentarfilm im TV). In ihm finden nur Tiere ein zu Hause, die in Belize vorkommen, Waisen waren, verletzt gefunden wurden oder die irgendwo Probleme machten. Ein interessanter Besuch mitten im Regenwald, abseits des Üblichen.
Auf nach San Ignacio; 15 km sind es von da bis zur Grenze nach Guatemala. Wir nehmen den Umweg über Spanish Lookout, wo deutschstämmige Mennoniten grosse Landwirtschaftsbetriebe bewirtschaften. Spanish Lookout wurde 1958 durch etwa 75 Mennoniten-Familien gegründet, die aus Mexiko zugewandert waren. In Belize gibt es aktuell ca. 6500 Mennoniten, sie gehören einer evangelische Freikirche an, die auf die Täuferbewegungen der Reformationszeit zurückgeht. Traditionalisten der Freikirche lehnen moderne Technik und Maschinen ab.
Wir fahren in einer anderen Welt, wie uns scheint. Ausgedehnte, schöne Weiden auf denen grosse Kuhherden und Pferde grasen. Gepflegte Bauernhöfe und Geflügelmastställe, dazwischen moderne Holz verarbeitende Betriebe und anderes Gewerbe; die Strassen sind breit und asphaltiert. Man kann die Siedler in ihren Latzhosen und Strohhüten und die Frauen in ihren hochgeschlossenen Kleidern belächeln, wenn sie mit Pferd und Wagen unterwegs sind, beeindruckend ist allemal, was die Familien der Glaubensgemeinschaft von Spanish Lookout in sechzig Jahren mit fleissiger, gottgefälliger Arbeit und Ausdauer dem dichten Urwald abgetrotzt haben.
Nach einer Pause in San Ignacio, in der wir den Spuren der Mayas folgen, rollen wir Guatemala entgegen.