Turkmenistan - wenig gesehen, viel erlebt
Unser Transitvisum ist vom 8. bis zum 12. August gültig. Keinen Tag früher und auf gar keinen Fall länger als die fünf Tage. Da sind die Turkmenen stur und äusserst pingelig. Nicht einhalten der Frist hat eine saftige Busse und bürokratische Scherereien zur Folge.
Einige Kilometer nach der Grenze wird der Verkehr, der vor allem aus iranischen und türkischen Sattelschleppern besteht, wegen einer Bustelle auf eine üble Staubpiste umgeleitet. Ständig sind wir hustend in eine riesige Wolke gehüllt und versuchen um Schlaglöcher kurvend im Sattel zu bleiben. Kaum zu glauben, dass wir auf der Hauptverkehrsachse Maschad – Turkmenabad unterwegs sind. Die 540 Kilometer durch Turkmenistan bis zur Grenze zu Usbekistan führen über weite Strecken durch wüstenähnliche Steppe, fast immer soll unser lieber Freund, der Wind, einem heiss ins Gesicht pusten und tagsüber kann das Thermometer auf über 45 Grad steigen. Die Strassen sind schlecht und Möglichkeiten, sich mit Wasser zu versorgen, rar. Breits im Frühling haben wir uns daher entschlossen, die Transitstrecke mit Bus und Bahn abzukürzen.
Ratlos, mit dem ersten Bier seit fast sieben Wochen in der Hand, stehen wir uns in Seraks die Füsse in den Bauch und hoffen, irgendwie nach Turkmenabad oder zumindest bis ins knapp zweihundert Kilometer entfernte Mary zu kommen. Einmal mehr ist die Verständigung DIE grosse Hürde. Eine Bahnverbindung gebe es nicht. Busterminal? Schulterzucken . . . Da hält ein Auto. Parachat zeigt uns nicht nur den Busterminal (300 m um die Ecke, der einzige Bus fährt am Morgen um 07.20 Uhr), er lädt uns auch gleich zu sich nach Hause ein, da es sowieso kein Hotel in Seraks gibt. Es wird ein sehr gemütlicher Abend und gegen Mitternacht liegen wir herum wie fette Maden, können uns kaum mehr bewegen. Unglaublich, was Gulbachat alles aufgetischt hat - und was wir vertilgen. Alles ist so lecker, wir können nicht wiederstehen. Das Beste kommt noch: Parachat hat tatsächlich organisiert, dass uns der grosse Bus (der Fahrer ist ein Freund) am nächsten Morgen 07.00 Uhr vor der Haustüre abholt! Da bleibt uns wirklich die Luft weg. Ins Schwitzen kommen wir am Morgen, als der Bus bereits um 06.30 vorfährt und gross werden unsere Augen, weil der Bus so klein ist. Die Velos und Taschen müssen alle in den Isuzu; am Terminal werden elf Personen zusteigen, tatsächlich sind es dann mindestens doppel so viele. Wir versuchen uns so dünn als möglich zu machen. Dann, kurz nach der Stadtgrenze das Kommando des Busfahrers: „Alles hinsetzen, insbesondere die im Mittelgang, Polizeikontrolle“. Wir flutschen ohne angehalten zu werden durch und das Gelächter ist gross, vermutlich vor allem wegen der zwei Pappnasen aus Europa, die erst jetzt begreifen, um was es ging.
Die Strasse ist grottenschlecht, unsere Velos machen, trotzdem wir sie krampfhaft halten, was sie wollen, springen Mitreisenden in die Füsse und die Ketten hinterlassen üble Spuren auf Röcken und Waden. Nein, so haben wir uns die zweihundert Kilometer angenehme Busfahrt nach Mary nicht vorgestellt. Nach knapp hundert Kilometern, mitten in der Prärie, ist dann auch Schluss. Motorschaden, alles aussteigen. Ungläubige Gesichter. Wir schwingen uns in die Sättel, die anderen Reisenden versuchen mit Autostopp weiter zu kommen. Dummerweise ist unser Wasservorrat auf eineinhalb Liter zusammengetrunken, zu wenig bis nach Mary. Nach dreissig Kilometern überzeugen wir die zwei Fahrer eines Kleinlasters, uns bis in die Stadt mitzunehmen. Vorne dürfen nur drei Personen mitfahren, Pit leistet also den Velos Gesellschaft und lässt sich hinten einsperren – und schwitzt sich in der Alukabine fast die Seele aus dem Leib. Die letzten zehn Kilometer in die Stadt legen wir auf dem Velo zurück, so gibt es keine Probleme mit Polizeikontrollen. Die einzige Möglichkeit von Mary nach Turkmenabad zu kommen ist für uns der Zug. Erst der um 22.00 Uhr nimmt Velos mit. Wir schlagen also die nächsten Stunden im protzigen Bahnhof (gemessen am Dutzend Züge, die hier pro Tag halten), mit Lesen, Essen und Schlafen tot, haben viel Zeit, das Treiben zu beobachten. Die Fahrscheinschalter, 1., 2. und 3. Klasse öffnen für jeden Zug separat (ca. zwei Stunden vorher), was jedes Mal grossen Andrang zur Folge hat. Die Fahrscheine werden von Hand ausgefüllt, Pass vorweisen obligatorisch. Ein Billet am Morgen für einen Zug am Abend kaufen? Nicht möglich. Elekronik findet sich nirgends; die beiden Grossbildschirme in der Wartehalle haben nichts anzuzeigen.
Zwanzig Minuten nach Zehn fährt der Zug, gezogen von zwei lauten und stinkenden Dieselloks, lagsam auf dem einzigen Perron ein. Velos und Taschen dürfen für je fünf Dollar „Gebühr“, die wir den beiden Wagenkontrolleuren zahlen, in den Gepäckwagen ganz vorn, unsere Schlafplätze im Viererabteil sind in Wagen 15, ganz hinten. Wie wir im Internet gelesen haben, sollen die Züge mit gemütlichen 25 km/Std. durch die Wüste schaukeln – viel Zeit für uns zum Schlafen bis Turkmenabad. „Aufstehen, in 10 Minuten sind wir in Turkmenabad“, der Wagenführer reisst die Schiebetüre auf, es ist kurz vor 03.00 Uhr. Wir sind schon da? Schlaftrunken stolpern zwei Schweizer durch die Wagen und über schlafende Reisende in den Gängen Richtung Gepäckwagen. Wieder heisst es Stunden dösen, schlafen, auf den anbrechenden Tag warten.
Bei Sonnenaufgang, kurz nach 6 Uhr, pedalen wir müde Richtung usbekische Grenze und erfassen erst langsam, dass das turkmenische Abendteuer nach zweieinhalb Tagen schon zu Ende ist. Wenig gesehen, viel erlebt, lautet unser Turkmenistan-Fazit.