Waschen, putzen, aussortieren, reparieren und ein bisschen Seoul
Gut drei Wochen in Seoul ohne tägliches Campen, Packen und Velofahren haben gut getan. Dass wir wie Murmeltiere schlafen und nur mit Mühe aus den Federn kriechen bestätigt, was wir seit Wochen verspürten: es ist Zeit, eine längere Pause einzulegen. In den letzten eineinhalb Jahren hat es nur im Iran, in Thailand und Japan zu je einer Woche Faulenzen gereicht.
Obwohl sich unser „Appartement“ in Seoul entgegen dem Beschrieb und blumigen Fotos als Zimmer mit Schlafecke und Kochnische entpuppt hat, geniessen wir unsere feste, heimelige Höhle nahe am Stadtzentrum sehr.
Eines der alten Stadttore von Seoul.
Vorgestern war es endlich soweit: die Fahrräder sind in den Transportboxen flugtauglich verstaut. Einen ganzen Tag haben wir uns bei einem Fahrradhändler in der Stadt mit Waschen, Putzen - wo nötig mit Zahnbürsten die hintersten Ecken ausgeschruppt - und Zerlegen abgemüht; Pit sein Velo hat ein neues Ritzel samt Kette erhalten, an Bea’s Rad wurde (endlich!) ein neuer Veloständer montiert. Sollte sich bei der Einreise nach Neuseeland – dorthin geht es nämlich morgen Mittwoch – noch irgendwo Schmutz an den Rädern oder im Gepäck finden, wir werden den nächstbesten Besen fressen! Neuseeland hat äusserst rigide Einreisebestimmungen was Pflanzen, Tiere und Esswaren betrifft. Zu gross ist die Angst, dass Krankheiten in das weitgehend von Tier- und Pflanzenseuchen freie Land eingeschleppt werden. Wir freuen uns sehr auf die 13 Flugstunden entfernten Inseln weit im Osten mit grossartiger Natur und sind sicher, dass sich jede Minute mühsame Vorarbeit gelohnt hat. Drei Monate sollen uns unsere treuen Stahlesel über die Insel tragen.
Für Seoul ist nicht so viel Zeit übrig geblieben. Die Luft ist draussen. Genug grosse Städte, genug Sprachmühen und nach einem guten Jahr genug Asien. Ankara liegt eineinhalb Jahre zurück. Wir durften wunderschöne, interessante Länder bereisen, haben überall herzliche, hilfsbereite Menschen angetroffen und an vielen Orten eine Gastfreundschaft erlebt, die wir so nie zurückgeben können.
Wer sein Fahrrad für einen Flug verpacken muss, ist beim Veloshop „Bikely“ nahe Seoul Railway Station in guten Händen. Wir durften auf der Dachterrasse putzen, reparieren und verpacken und die Räder bis zum Abholen einstellen. Die Besitzer sind sehr hilfsbereit, helfen mit Werkzeug aus und haben uns für einen fairen Preis samt Gepäck an den Incheon Airport gefahren.
Bikely Fahrradshop, www.bikely.co.kr, bikely@bicyclestation.co.kr
Südkorea
Von unserem 38. Reiseland, der Republik Korea, trennen uns lediglich gut 200 Kilometer Fahrt mit der Fähre, die das grosse Schiff von Fukuoka in Japan nach Busan im Süden Koreas einmal täglich in fünf Stunden zurücklegt. Der Entscheid, das Land nördlich von Japan mit dem Velo zu bereisen fiel irgendwann in den letzten Wochen. Ausschlaggebend war die Nähe zu Japan und die Möglichkeit drei Monate ohne Visum bleiben zu dürfen, zudem ist Korea ein Industrieland mit hohem Lebensstandard und dürfte Japan nicht unähnlich sein, wie wir meinten und von Reisenden hörten.
Für uns hat Korea so viel mit Japan zu tun, wie die Schweiz mit Holland. In beiden Ländern leben Asiaten, mehr haben die Nachbarländer zu unserer grossen Überraschung nicht gemein.
In der ersten Woche haben wir echt Mühe im neuen Land Fuss zu fassen. Hat die Fähre aus Versehen einen anderen Weg genommen und ist an Chinas Küste gelangt? Die Hafenstadt Busan ist laut – in der Innenstadt werden die Ohren vor jedem Laden mit überlautem Gedröhne zugemüllt – Abfall, schmuddlige Strassen und Hauseingänge, Obdachlose, aggressiver Verkehr. Alles ist anders als vorher in Japan. Wir staunen über die hohen Lebensmittelpreise bei einem bescheidenen Angebot. Keine tollen grossen Supermärkte mehr (die sehen wir erst wieder in Seoul), Schluss mit feinem 80 Cent-Bohnenkaffee und Donat am Morgen im Lawson. Die Schlemmermonate in Japan sind endgültig Vergangenheit.
Der Vier-Flüsse-Radweg führt von Busan in die Hauptstadt Seoul. Fast 600 km zum Geniessen und Bummeln. Einmal etwas anderes.
Wir erleben die Menschen in Korea anders als in Japan, offener, direkter, neugieriger, lauter. Fahrrad fahren ist ein Freizeitvergnügen, dem viele frönen, ganz im Gegensatz zu Japan. Vor allem an schönen Wochenenden sind Tausende auf den tollen Radwegen mit ihren teuren Mountainbikes und Rennrädern unterwegs. Tourenradler sind absolute Exoten, denen entsprechendes Interesse gilt; immer wieder werden wir angesprochen, mit Früchten und Getränken beschenkt. Die Offenheit der Koreaner lassen wir uns gerne gefallen, selbst ihre Englischkenntnisse sind besser, als die der Japaner. Nach und nach finden wir den Faden zum neuen Reiseland, nach fünf Monaten Nippon nicht ganz einfach.
Als Route in die knapp 600 Kilometer entfernte Hauptstadt-Metropole Seoul im Norden bietet sich der Vier-Flüsse-Radweg an, der 2012 fertig gestellt wurde. Ungewohnt, den ganzen Tag auf toll angelegtem Weg entlang dem Nakdonggang River zu pedalen, die offene Landschaft mal ohne lauten Verkehr zu geniessen. Speziell und lästig: mindestens jeder dritte Koreaner auf dem Velo lässt sein Radio am Lenker laut plärren. Sind hier Kopfhörer noch nicht erfunden? Der Radweg weist nur wenige kurze Steigungen auf, die sind dafür mit teilweise 17 Prozent (und mehr, wie wir meinen) echte Schinder mit 50 kg schweren Rädern. Kein Problem für die meisten Einheimischen, die Weicheier steigen bereits bei 5%-Steigungen aus den Sätteln.
25 Kilometer nach Busan nehmen wir trotz anders lautenden Hinweisen von Einheimischen einen Weg, der uns vom grossen Fluss weg direkt in die Berge führt. Pit hat die Route samt Tracks im Internet gefunden und auf dem Navi eingegeben, in der Meinung, dass es sich um die Originalstrecke handelt. Die Route ist auf weiten Strecken echt öde, steil, führt über grosse Strassen und zudem gibt es kaum Möglichkeiten zum Einkaufen. Welcher Teufel hat uns nur geritten, hier herum zu kurven? Echt bescheuert! Bea ist ziemlich sauer und möchte umkehren. Aber jetzt 35 km zurück? Nein, wir ziehen die hundert Kilometer bis Daegu durch.
Gut meint es das Wetter mit uns. Bis auf einen Tag mit heftigem Regen und Wind, den wir in einem Hotel verschlafen, begleitet uns die Sonne bis nach Seoul. Herbstlich sind die Temperaturen mit kühlen 8 Grad in der Nacht, Morgennebel und mässigen 20 Grad tagsüber, unterlegt von kaltem Wind. Unser Zelt braucht am Morgen „Streicheleinheiten“ und Sonne damit es einigermassen trocken verpackt werden kann. Egal, ersten haben wir Zeit und zweitens ist das Velofahren durch die warmen Herbstfarben wunderschön.
In Mungyeong und umliegenden Städten finden 2015 die 6. World Military Sport Games statt. Wir geraten mitten in das Zeitfahren der Radrennfahrer hinein. Eine willkommene Pause, und vielleicht können wir ja Schweizer Teilnehmer anfeuern; Bea montiert schon mal ihre Flagge ab. Leider vergebens. Schweizer seien bei diesem Rennen nicht am Start, erklärt uns ein Funktionär. Aber Hallo, aus Cancellara-Landen fährt niemand mit? Das kann ja nicht sein! Unsere Sympathie bekommen dafür die Fahrer aus Deutschland und dem Iran.
Zum Zelten finden wir meisten einen Platz in einem der weiten Grünanlagen am Flussufer. Korea ist ein sicheres Reiseland, nie haben wir Probleme beim wild campen. Nur einmal nach Daegu findet sich ein offizieller Zeltplatz, der für uns passt. Aber so einfach geht das nicht, ohne Reservation nur eine Nacht bleiben zu wollen. Obwohl es genügend freie Plätze hat, will uns der Chef erst mal nicht übernachten lassen. So schnell lassen wir uns nicht abwimmeln und insistieren mit Nachdruck – und dann geht es doch. Na also, wäre ja noch schöner, für zwei Radfahrer neben all den Autocampern kein Plätzchen finden zu wollen.
Sabrina und Wolfgang aus Österreich sind auf Hochzeitsreise. Bei dem schönen Herbstwetter ist der Radweg sicher ein toller Einstieg in das gemeinsame Leben.
Die beiden werden ihre Reise in Südamerika fortsetzen.
Für den Radweg Busan – Seoul haben die Koreaner keinen Aufwand gescheut. Brücken, Stege entlang dem Fluss, eine ausgebaute alte Bahnstrecke mit Tunnels, Picknickplätze, Fahrrad-Reparaturstationen, Luftpumpen, grosse Informationstafeln und eine erstklassige Streckenmarkierung lassen das Velofahren zum gemütlichen Bummeln werden (ein Irrer aus Europa ist in zwei Tagen von Seoul nach Busan gerast). Einmal etwas anderes, warum nicht. Nicht einfach gestaltet sich das Einkaufen für uns, weil der Weg meist an Dörfern und Städten vorbei führt. Findet sich nach einigem Suchen ein Laden, ist das Angebot mager. Wasser ist an der Strecke ähnlich schwierig zu finden. Was soll’s, wird eben mehr auf die Räder gepackt. Die letzte Tagesetappe nach Seoul wird länger als geplant. Nicht ein annähernd akzeptabler Platz zum Zelten lässt sich finden. Erst gegen 20.00 Uhr checken wir in einem Hotel am Stadtrand ein, froh um eine heisse Dusche.
Wir werden uns morgen ein kleines Appartement suchen und erst mal Pause machen. Zeit, die Weiterreise zu organisieren. Es gibt viel zu tun.