Pedalen im Niemandsland zwischen Holland und Deutschland.
Pedalen im Niemandsland zwischen Holland und Deutschland.
Loek, herzlichen Dank, dass wir auf deinem Hof wohnen und die Räder samt Gepäck unterstellen durften.
Loek, herzlichen Dank, dass wir auf deinem Hof wohnen und die Räder samt Gepäck unterstellen durften.

Reparaturen, Reparaturen . . .

Langsam nähern wir uns der niederländisch-deutschen Grenze bei Vreden; Münster, die nächste grössere Stadt in Deutschland, liegt einen Tagesritt vor uns. Das Pedalen auf dem holländischen Radwegnetz ist nach wie vor ein Genuss, obwohl die Knotenpunkte für uns zwischendurch zu Knackpunkten werden – wir verfahren uns wiederholt. Wer suchet, der findet.

Wenigstens bleibt das Wetter freundlich, allerdings ist es für die Jahreszeit zu kalt. Wir geniessen darum noch ein paarmal den Zimmerluxus der Vrienden op de Fiets und lassen das Zelt im Sack.

 

Irgendwie scheint unser Material zu spüren, dass es nach Hause geht. Die Reissverschlüsse an Zelt, Hosen und Beas gelber Tasche bleiben trotz gut zureden und fluchen nach dem Schliessen offen, Stausäcke gefallen durch gerissene Nähte und Löcher, Pit verklebt seine Sonnenbrille nach diversen Brüchen immer neu mit Klebeband, und nun sind auch noch die hinteren Gepäckträger an beiden(!) Rädern gebrochen (Wurden beim Flug nach Europa Koffer auf die Fahrradschachtel geschmissen? Vermutlich ja). Zum Glück finden wir in Utrecht, übrigens eine interessante, alte Stadt mit bekanntem Dom (oder was davon nach einem schweren Sturm 1674 noch übrig blieb), im vierten Anlauf eine Autogarage, die Aluminium schweissen kann. Allerdings wurde die Einrichtung ausgeliehen, ist aber kein Problem, der vermutlich türkischstämmige Garagenbesitzer fährt mit unseren demontierten Gepäckträgern hin und zwei Stunden später können wir die Teile wieder verschrauben. Was kostet die Reparatur? Abwehrend hebt der Garagenbesitzer die Hände – der Freundschaftsdienst kostet nichts. Einmal mehr berührt uns die grosse muslimische Hilfsbereitschaft. Hartelijk dank!

Übrigens, den aufgehenden Reissverschlüssen sind wir mit der Flachzange zu Leibe gerückt. Gefühlvoll die schmale Seite des Schiebers etwas zudrücken . . . und grrrrr, die Zähne verbeissen sich, es ist eine Wonne! Reparatur-Anleitungen findet man im Internet.

 

Nach einem knappen Monat im schönen Holland überfahren wir die grüne Grenze nach Deutschland ohne irgendeine Kontrolle, lediglich eine einfache Tafel und Grenzsteine weisen auf den Landeswechsel hin, selbst die Währung bleibt die gleiche. Das hatten wir schon lange nicht mehr.

Radfahrer haben in Holland an vielen Orten Vortritt. Manchmal auch bei Kreiseln, was den Autofahrern nicht immer gefällt.
Radfahrer haben in Holland an vielen Orten Vortritt. Manchmal auch bei Kreiseln, was den Autofahrern nicht immer gefällt.
An der niederländisch-deutschen Grenze bei Vreden. Auf Wiedersehen, Holland!
An der niederländisch-deutschen Grenze bei Vreden. Auf Wiedersehen, Holland!

Tulpen, Hyazinthen, Käse und Vrienden op de Fiets

Es gibt sie überall in den Niederlanden, Radwege und Radstreifen, denn im Land der Tulpen und des Edamer- und Goudakäses wird für alle 17 Millionen Einheimischen und ein paar Ausländer der rote Fahrradteppich ausgerollt. Ohne zu Übertreiben kann man behaupten, dass hier jeder mindestens ein Velo besitzt und damit auch regelmässig fährt. (Apropos Käse: Es ist eine sträfliche Untertreibung, nur von Edamer und Gouda zu sprechen. Liebhaber können sich durch den einzigen Berg im Land, den Käseberg, mit dutzenden weichen und harten Käsesorten, essen. Wir haben erst einen bescheidenen Tunnel geschafft. Die Niederländer exportieren jedes Jahr mehr als 400 Mio. Kilogramm Käse, was sie zum weltweit grössten Exporteur dieses feinen Milchprodukts macht.)

Wir geniessen das Pedalen im Norden des Landes in kleinen Häppchen, bummeln entlang farbenprächtiger Tulpen- und duftender Hyazinthenfelder, lassen uns über Edam, Hoorn, Alkmaar und Haarlem zurück nach Amsterdam treiben und halten die Nasen in den Frühling – der Kopf ist angekommen.

Hunderte begegnen uns täglich auf ihren Fiets (Velos), in den Städten stehen tausende der Drahtesel herum, kein Wunder, werden allein in Amsterdam pro Jahr 60'000(!) Fahrräder gestohlen.

„Ein warmer Empfang, ein gemachtes Bett und ein herzhaftes Frühstück. Genau, was man nach einer schönen Wanderung oder Radtour an der frischen Luft braucht.“ So wirbt die Stiftung „Vrienden op de Fiets“ (Fahrradfreunde), die mit ihrem Netzwerk an Übernachtungsadressen bei Privatpersonen aufwartet, um Mitglieder und Gäste. Die Gastgeber wohnen vielfach an schönen Rad- und Wanderstrecken, wo man zu einem günstigen Tarif übernachten und frühstücken kann. Die Idee tönt nicht nur gut, es ist tatsächlich eine angenehme Alternative zum Kampieren und zu den teuren Hotelzimmern sowieso.

Als Mitglied der Vrienden op de Fiets bekommt man neben einem Adressbuch eine geniale Fahrradkarte von Holland zugeschickt; eigentlich der Schlüssel, um sich auf dem weitläufigen Radwegenetz zurecht zu finden. Das ganze Land ist mit sogenannten Knotenpunkten vollgepflastert. Als Radler braucht man also kein Holländisch zu verstehen, nur den Punkten nachfahren genügt, und man kommt (meist) sicher ans Ziel (falls man nicht Abzweigungen vertrödelt, so wie wir ab und zu).

Wunderschön, die Tulpenfelder rund um Amsterdam.
Wunderschön, die Tulpenfelder rund um Amsterdam.

Wir geniessen das entspannte Fahren auf eigenen Wegen; nach Monaten mit manchmal nervigen Autofahrern fast schon paradiesisch. Trotzdem, was uns mehr und mehr fehlt, ist das tägliche „Abendteuer“ des Reisens mit dem Fahrrad, so wie das in den Stan-Ländern oder in China, Myanmar und Laos der Fall war. Schlechte Strassen bewältigen, einen sicheren Platz zum Übernachten finden, aus einem bescheidenen Angebot auf dem Kocher ein Festmenu zaubern, sich mit sprachlichen Schwierigkeiten herumschlagen, über Monate waren das tägliche Herausforderungen. Dafür mokieren wir uns seit einem halben Jahr über knatschiges Brot, teures Bier, verdreckte Campküchen und andere „Probleme“, die nur Luxusprobleme sind. Nach einigen Monaten Ausspannen in der Heimat wollen wir neue Ziele ansteuern. Die Planung läuft.

Vorerst aber geniessen wir das Zusammensein mit unseren Lieben in Amsterdam, rollen anschliessend langsam Richtung Alpen und Heimat.

Zurück in Europa. Die in den letzten zwei Jahren gestrampelten 25'000 Kilometer durch 16 Länder (ab Ankara in der Türkei) werden mit 27 Stunden Reisezeit buchstäblich weggewischt, bekommen etwas Irreales. Irgendwie unwirklich und surreal für uns, so rasch von einem Ende der Welt zum anderen zu jetten. Trotzdem, wir freuen uns auf Europa, vor allem auf das langsame Ankommen mit dem Fahrrad in der Schweiz, das ist uns sehr wichtig.

 

Holland – Antje, wir kommen!

Neun Stunden Zeitverschiebung und das viel zu lange, zuletzt unbequeme Sitzen im Flugzeug, lassen sich nicht einfach ausziehen wie zerknittertes Shirt; wir sind angekommen aber der Kopf ist zur Hälfte noch irgendwo in Australien.

Wieder einmal ist das Glück auf unserer Seite, wir dürfen bei Corrie und Jan, unseren lieben holländischen Freunden, die wir vor drei Jahren auf unserer Tour in Finnland kennen gelernt haben, eine Woche unterschlüpfen, ja sie lassen es sich nicht nehmen, uns mit dem ganze Krempel am Flughafen Schiphol abzuholen. Nein, besser hätten wir auf dem alten Kontinent nicht Fuss fassen können! Vom australischen Herbst in einem Tag in den holländischen Frühling beamen, einfach den Winter auslassen; unsere Reise wird zur Zeitreise zwischen den Welten, physisch und mental.

Zarter, hellgrüner, duftender Frühling und die Farbenpracht der blühenden Tulpen, Narzissen und Hyazinthen rund um Amsterdam – nach zwei Tagen werden die Stahlesel gesattelt; wir halten es nicht in der Stube aus. Seltsam, nie vorher war Holland für uns ein Reiseziel, höchste Zeit das Velofahrerland par excellence zu entdecken!