Ein Abenteuer geht zu Ende
War Myanmar ein Abenteuer für uns? Auf jeden Fall. Vorgesehen war der Abstecher in das Land am Indischen Ozean nicht, es hat sich einfach so ergeben. Zum Radfahren war Burma eines der schönsten Länder, das wir bisher bereist haben. Die schmalen, kurvenreichen Strassen mit wenig Verkehr – die übrigens viel besser zu fahren sind, als wir das auf Grund von Einträgen auf dem Internet erwartet haben – waren genau nach unserem Geschmack. Nein, Tempo bolzen geht schlecht, das verhindern die vielen Buckel, die die Reiseradler gehörig durchschütteln und die Räder auf eine harte Probe stellen. Übel, was die Strasse angeht, war für uns nur der Abschnitt von Mayawaddy nach Kawkareik, der uns echt gefordert hat, der Rest war Nasenwasser. Trotzdem waren diese 60 Kilometer nach der Grenze ein Erlebnis der Sonderklasse, das wir nicht missen möchten! So widersprüchlich kann Velofahren daher kommen. Wer selber Touren fährt weiss, wovon wir reden.
Nebenbei, wirklich schlechte Strassen hatten wir bisher nur in Bulgarien, Moldawien und ganz besonders in der Ukraine.
Wir hoffen sehr, dass sich Myanmar weiter zu einer echten Demokratie entwickelt und die Bevölkerung eine Perspektive für die Zukunft hat. Nach Jahrzehnten Militärdiktatur, Abschottung und Embargos würden wir das den freundlichen, hilfsbereiten Menschen, die wir kennen gelernt haben, sehr, sehr wünschen.
Am Inlesee und durch die Schweiz Myanmar's
Den Inlesee, ein flacher (zwischen 4 und 5,5 m tief), 120 km2 grosser See, 200 km unterhalb von Mandalay, erreichen wir mit dem Nachtbus in elf Stunden von Bago aus. Der See mit seinem Markt auf dem Wasser, seinen Dörfern auf Pfählen und den schwimmenden Gemüsegärten steht bei den Touristen hoch im Kurs. Da wollen wir nicht aussen vor bleiben und wagen uns ins Getümmel (es hat Touristen am Inlesee, wir stehen uns aber nie auf den Füssen herum).
Morgens um fünf gibt’s an der Strasse erst mal Frühstück um die Zeit zu überbrücken, bis es hell wird (Pit verdrückt Reis mit Hühnchen, Bea genügt ein Kaffee). Hier auf 1200 m ü.M. ist es heute Morgen saumässig kalt, schlappe 10 Grad zeigt das Thermometer an! Gar nicht tropisch und für uns nach Monaten Hitze eine Zumutung. Schlotternd und mit Gänsehaut pedalen wir die 13 km bis Nyaungshwe, unweit des Sees. Sonne, wo bist du?
Die ganztägige Tour mit einem Langboot - uns hat sich Keren aus Deutschland angeschlossen, die im gleichen Guesthouse wohnt - ist ein Volltreffer. Für wenig Geld erleben wir viel und geniessen den Tag einmal ohne die Fahrräder. Wer weiss schon, dass sich aus Fasern der Blattstängel der Indischen Lotosblume Seide gewinnen lässt die siebenmal teurer ist als herkömmliche Seide? Exklusiv am Inlesee zu sehen.
Schon vor Tagen war klar, dass wir die 260 Kilometer bis Mandalay unter die Veloräder nehmen. Gemäss Reiseführer fahren wir auf einer kleinen Nebenstrasse durch die Schweiz Myanmars; wenn das kein Grund ist, das Velo statt den Bus zu nehmen. Die Route ist schlicht ein Hit! Ganz Schweiz mässig führt die schmale Strasse zielstrebig Richtung Berge um am zweiten Reisetag einen kleinen Pass auf 1480 m zu erklimmen und sich dann in einer langen, steilen Abfahrt über viele Kurven und Grate entlang schroffer Abhänge ins Tal zu winden. Ein paar Lastwagen und Autos, dafür umso mehr Motorräder sind unterwegs.
Wegen diverser Waldbrände und dem gewollten Abbrennen von Feldern werden wir um die sicher tolle Fernsicht gebracht. Eine dreckig-braune Dunstglocke hängt träge über den Tälern, die Luft ist stickig, reizt den Hals, die Hitze tagsüber setzt uns zusätzlich zu. Nicht mal in China war der Himmel so mies mit uns. Und weil wir gerade beim Thema sind: Abfall und stark verschmutze Gewässer gehören leider zu Myanmar wie das Kauen der Betelnüsse. Nimmt man sich die Mühe, Mandalay zu Fuss zu erkunden und durch die engen Strassen und Gassen zu schlendern in denen die Einheimischen wohnen, bekommt man häufig Unappetitliches zu sehen. Wie muss es erst in der Monsunzeit stinken, wenn der Regen all den Abfall in die jetzt schon stark verschmutzten Kanäle spült?
Nach zwei Tagen Pause in Mandalay mit Ausflügen in die Umgebung geht’s weiter Richtung Bagan, weiter südlich.
Die teure Königsstadt Bagan
Wir haben alle 2215 Tempel der historischen Tempelstadt Bagan, dem wohl bekanntesten Touristenziel in Myanmar, besucht. Nein, natürlich nicht. Wir haben aber das Gefühl, nach dem Besuch von einem Dutzend der alten Ziegelbauten alle gesehen zu haben. Zugegeben, die weite Ebene mit den vielen Tempeln und Pagoden ist beeindruckend, vor allem früh morgens wenn die Sonne aufgeht und abends bei Sonnenuntergang hat sie etwas mystisches, nicht zuletzt wegen der trüben Luft, die in Schwaden um die Tempel wabert. Trotzdem, wir können nicht verstehen wie man die schlichten Ziegelbauten mit Superlativen wie „kann man nicht in Worte fassen“, „einzigartig“, “absolutes Highlight”, „atemberaubend“ betiteln kann. Architektonisch gleichen sich die Bauten sehr; sie sind schön aber für uns keinesfalls atemberaubend.
Wir finden kaum figürliche Darstellungen, Steinmetzarbeiten, die künstlerisch begeistern, fehlen. Reliefs sehen wir keine, Wandmalereien – wenn vorhanden – sind schlicht, in der Gestaltung wie in den Farben. In allen Tempeln thront Buddha in einem schmucklosen Raum, umgeben von gläsernen Spendenboxen, gefüllt mit grossen und kleinen Scheinen. Sorry, vielleicht fehlt uns einfach das mystisch verklärende Gen, das viele Touris hier zu Ferien-Buddhisten werden lässt oder wir haben seit der Einreise nach Thailand schon zu viele heilige Orte gesehen.
Bagan kann sich unserer Meinung nach nicht mit den Tempeln von Angkor in Kambodscha messen und wird massiv überschätzt. Wir erleben es jedenfalls so.
Dass die alte Königsstadt Bagan mit ihren Tempeln und Pagoden ein teures Pflaster für uns wird, haben wir geahnt. Wer in Neu-Bagan ein akzeptables Doppelzimmer mit einfachstem Komfort für 40 US-Dollar ergattern kann, der hat die sprichwörtliche Nadel in Heuhaufen gefunden und ist ein Glückspilz. Wir finden nach einigem Suchen ein Hostelzimmer für 54 $ die Nacht; einfache Einrichtung, Dusche/WC, free Wi-Fi, ohne TV. Hier in Neu-Bagan kann man alle Angaben über Kosten, die in den Reiseführern stehen, schlicht vergessen. In den letzten zwei Jahren sind die Preise auf das Doppelte hochgeschnellt. Teilweise ist jeder Realitätssinn verloren gegangen. Wenn z.B. die Wäscherei um die Ecke für ca. 2 kg Wäsche völlig überrissene 12 Dollar verlangt, während die Laundry über die Strasse drei Dollar in Rechnung stellt. Nur zwei Beispiele, auf was man sich hier gefasst machen muss.
Abenteuer Bahnfahren in Myanmar mit dickem Ende
Gemäss unserem Zeitplan bleiben zehn Tage bis zur Ausreise nach Thailand. Für die 500 Kilometer nach Yangon brauchen wir mit dem Velo zu lange, könnten doch noch in Zeitnot geraten; also nehmen wir den Nachtzug und rattern schaukelnd in 15 Stunden der grössten Stadt des Landes im Süden zu. So stellen wir uns das wenigsten gemäss Beschrieb im Internet vor. Zugfahren soll in Myanmar ein besonderes Erlebnis sein, vor allem weil Schienennetz und Rollmaterial sehr alt sind. Ab 1877 bis 1988 bauten die Engländer die 1 m-Spur-Bahn. Seit den 90er Jahren wird das Schienennetz laufend erneuert; Chinesen und Inder liefern Diesellokomotiven und Waggons, teilweise neue, viele gebrauchte.
Die Velos werden im leeren Gepäckwagen am Schluss des Zuges sicher angebunden (wie wir meinen), Sack und Pack im 4-er Schlafwagenabteil unter die Betten geschoben, die Füsse hochgelegt – das Abenteuer kann beginnen!
Die Waggonfenster (Fenster ist eigentlich falsch, weil es keine Scheiben gibt, lediglich Rollos) und –türen bleiben immer offen. Nach der Tageshitze ist Durchzug willkommen, dafür ist der Lärmpegel entsprechend. Es knirscht, rattert, schlägt, quietscht und rumpelt; wir verstehen kaum die eigenen Worte. Die Wagen sind mindestens 30 Jahre alt und z.T. in einem erbärmlichen Zustand. Wer einen Waggonwechsel wagt, hat eine kleine Mutprobe zu bestehen, denn die Bodenbleche über den Kupplungen sind teilweise weggebrochen, die Reste schlagen ohrenbetäubend aufeinander während die Waggons wilde Bocksprünge vollführen; die Faltenbälge hängen sowieso in Fetzen. Der Zug rumpelt mit seinen fünf Wagen mit gemächlichen 45 Std./km durch die Nacht, Kinder stehen mit grossen Augen an den Geleisen, warten auf Süssigkeiten, die ihnen die Bahnreisenden zuwerfen. Glutrot sinkt die Sonne in die Palmwipfel; wir geniessen das gemächliche Reisen und fühlen uns gut aufgehoben.
Es gibt sogar einen Speisewagen, in dem drei Menus zur Auswahl stehen. Wir sind die einzigen Gäste und lachen uns halb kaputt, weil das Bier schneller den Weg auf unsere Hosen als in den Mund findet. Trinken ist bei dem heftigen Schlinggern fast unmöglich, das Glas abstellen sowieso. Trotzdem, die Fahrt ist etwas sehr Spezielles das man sonst kaum mehr erleben kann.
Bei einem Halt um sieben Uhr morgens bekommt die Idylle einen argen Dämpfer. Aufgeregt gestikulierend fordert der Schaffner uns auf, ihm in den Gepäckwagen am Zugschluss zu folgen, faselt etwas von „mirror broken“ . . . ach du Scheisse, was ist mit den Velos passiert? Pit trifft fast der Schlag. Bea’s Rückspiegel am Rad ist gebrochen, Schaltkabel sind angeknickt, ein Flaschenhalter ist futsch, beide Velos haben vom heftigen Schlagen des Gepäckwagens tiefe Lackschäden, ein paar Kleinteile sind verschwunden. Zum Glück sind keine Speichen kaputt, die Schaltung ist OK, die Bremsen funktionieren.
Was war ich (Hp) für ein Idiot, die Velos nebeneinander zu stellen, noch dazu, weil keine richtige Befestigung möglich war und die hilfsbereiten Bähneler nur mit Schnüren improvisieren mussten! Dass der Gepäckwagen fast auseinander fällt, hätte mir Warnung sein müssen. Die letzten drei Stunden hocke im mich neben die Velos, halte sie fest, während die hinterste Achse des Wagens unglaubliche Sprünge vollführt – würde das Drehgestell aus den Schienen springen, mich würde es keinen Moment wundern - und habe Zeit, den Ärger bis Yangon verdampfen zu lassen. Velos gehen nicht beim Fahren sondern bei Transporten kaputt. Nicht das erste Mal, dass wir die Erfahrung machen müssen.
Von Betelnüssen und Reisekosten
Wir rollen gemütlich durch kleine Dörfer und passieren zwei, drei Checkpoints. Nachdem die höflichen Polizisten sorgfältig unsere Personalien, das Reiseziel und die Zeit in ein grosses Buch eintragen haben, werden wir mit guten Wünschen entlassen. Kontrolle muss sein. Überhaupt haben es uns die fröhlichen, hilfsbereiten Menschen in Myanmar angetan. Wo wir fahren und stehen wird gehupt, gewunken und zugerufen. Besonders die Kinder geraten aus dem Häuschen und schreien uns zig Male „good bye“ nach. Fahren wir an einer Schule vorbei, ist das Hallo stets gross und die Schulstube nicht selten unvermittelt leer. Dass die meisten Burmesen (und nicht selten auch Frauen) Betelnüsse kauen (sie haben eine euphorisierende, stimmungserhellende Wirkung) war uns bekannt, eine Sauerei ist die überall hingespuckte eklig braune Sauce trotzdem, ganz zu schweigen von den scheusslich aussehenden Zähnen mit dem angegriffenen Zahnfleisch. Die Droge ist in Asien weit verbreitet und wird seit Jahrhunderten konsumiert. Andere Länder, andere Sitten . . .
Vor Kyaikto überholen uns einige Dutzend alte Autos und Oldtimer verschiedenster Marken mit europäischen Nummernschildern, darunter auch Schweizer, die auf einer Rally von Singapur nach Yangon unterwegs sind. Schmunzelnd stellen wir fest, dass die alten Karren weniger Beachtung finden als wir zwei Langnasen mit den Rädern. Hier ist die Velowelt für uns noch in Ordnung! Übrigens herrschte bis 1979 in Myanmar Linksverkehr. Es wird erzählt, dass ein Astrologe dem damaligen Regierungschef den Tod bei einem Unfall auf der linken Strassenseite prophezeite. Daraufhin liess dieser den Linksverkehr von einem Tag auf den anderen zum Rechtsverkehr werden. Keine Ahnung ob die Geschichte so stimmt, skurril ist sie auf jeden Fall und in Myanmar durchaus möglich.
Obwohl einige Reiseradfahrer unterwegs sind, scheinen Ausländer ausserhalb der Städte immer noch etwas Besonderes zu sein. Wir geniessen die Aufmerksamkeit und noch mehr das schmackhafte Essen, das sich von dem in Thailand willkommen unterscheidet. Mehr als 4000 Kyat (ca. 4 Franken) blättern wir in Strassenküchen kaum hin. Zwei Bier und ein Sprite inklusive. Restaurants in Ortschaften sind meistens teuer und die Mahlzeiten eher dürftig, also nichts für hungrige Velofahrer wie wir. Guesthouses gibt es in grösseren Orten meist mehrere, Hotels dagegen (noch) wenige. Für durchschnittlich 25 US-Dollar bekommen wir überraschend gute Zimmer mit Dusche und WC (billiger sind Zimmer ohne Fenster, Gemeinschaftsdusche/-WC), Wi-Fi ist häufig vorhanden, erinnert uns aber an den Sketch von Emil Steinberger mit dem Autoblinker: geht, geht nicht, geht, geht nicht . . . und wenn es geht, dann soooo laaangsaaam . . . wir bekommen fast Vögel! Immerhin, es gibt Wi-Fi.
Überhaupt haben wir das Gefühl, dass sich das Land, das übrigens grösser ist als Frankreich, rasch entwickelt. Entgegen Angaben in relativ neuen Reiseführern entdecken wir sogar Bankautomaten, die tatsächlich Geld ausspucken. ÖV können in der Landeswährung bezahlt werden, bis vor kurzem nur in Dollars. An der Grenze mussten wir nichts deklarieren, vor einiger Zeit waren Angaben zu mitgeführtem Bargeld und elektronischen Geräten nötig, Mobilephones durften nicht nach Myanmar eingeführt werden. Alles tempi passati. Für uns ist Myanmar eines der schönsten Länder zum Velofahren, das wir bisher bereist haben.
Allerdings ist das Land für Weltenbummel auf dem Velo, die mit einem Minimalbudget unterwegs sind, nicht ganz einfach zu bereisen, weil Zelten nicht erlaubt ist. Wie uns erzählt wird, bleibt man mit dem Zelt selten lange unentdeckt. Da taucht die Polizei schon mal mitten in der Nacht auf, holt die Schläfer aus der Penntüte und begleitet sie zum nächsten Guesthouse das vielleicht nicht billig ist oder voll belegt. Abseits der Touristenrouten ist es oft schwer, überhaupt ein Bett zu finden. Muss man das einzige Guesthouse nehmen, kann es schnell teuer werden. Gemessen am Verhältnis Preis/Leistung von Laos, Kambodscha und Thailand ist Myanmar für uns ein teures Reiseland.
Kyaiktiyo-Pagode (Goldener Fels)
Der Goldene Fels ist eine der heiligsten buddhistischen Stätten in Myanmar und wird jährlich von vielen tausend Gläubigen besucht. Die sehr steile, kurvenreiche, schmale Strasse dürfen nur Lastwagen befahren, die die Gläubigen und Touristen auf den Berg karren. Eingepfercht in enge Bankreihen auf der offenen Ladebrücke, ist der Ritt nicht bequem aber ein spezielles Erlebnis.
Wir ziehen unsere Schuhe aus – Barfuss gehen ist vorgeschrieben – blättern für den „Eintritt“ sechs Dollar pro Nase hin (Einheimische zahlen nichts) und stehen wenig später beim berühmten Goldenen Stein. D.h. wir nähern uns nicht mehr als ca. 5 Meter, weil Frauen das Heiligtum nicht berühren dürfen. Noch eine Weltreligion, bei der Frauen die schlechteren Karten haben als die Herren der Schöpfung? Männer haben dafür das Privileg, Plattgold-Plättchen am Stein anzubringen um ihr Karma zu verbessern.
Der Ausflug auf den Berg war für uns auf jeden Fall toll, auch ohne Goldspende.
Vor Bago fahren uns die Lastwagen nur so um die Ohren. Auf der rechten Strassenseite wird ein Radweg gebaut, was die Spur noch enger macht, zudem sind Steine aufgereiht um den Fahrbahnrand anzuzeigen. So ein blöder Brocken wird Bea zum Verhängnis, als sie ein Sattelschlepper abdrängt und die Vordertasche hängen bleibt. Zum Glück geht der Sturz glimpflich aus. Blaue Flecken und ein gehöriger Schrecken ist alles, was bleibt. Fast unbemerkt hat Carlos aus Spanien mit seinem Velo zu uns aufgeschlossen. Er ist gleich lang unterwegs wie wir und will weiter nach Indien. Die Nächte verbringt er ausschliesslich im Zelt; auch er hatte schon Kontakt mit der Polizei, was ihn aber nicht weiter stört. Carlos will ausserhalb von Bago einen Schlafplatz suchen. Wie wir zwei Tage später von unseren neuseeländischen Velofreunden, die wir an der Grenze kennen gelernt haben und am Inlesee zufällig wieder treffen, erfahren, wurde Carlos am selben Tag gegen Mitternacht überfallen, mit einer Machete traktiert und um sein ganzes Geld gebracht. Für ihn ist die Reise vorläufig zu Ende.
Ein paar Tage vorher hören wir von einem Radfahrer, dass im Norden von Thailand ein Tourenfahrer aus Südamerika, der seit nahezu fünf Jahren rund um den Erdball unterwegs war, bei einem Unfall sein Leben verloren hat. Seine Frau und der kleine Sohn haben überlebt.
Die Vorkommnisse beschäftigen uns noch Tage und führen uns einmal mehr vor Augen, wie schnell sich Reiseglück in Unglück verwandeln kann.
Durch Dreck und Staub - Velofahren vom Feinsten
Wer besondere Herausforderungen beim Radfahren liebt, der sollte unbedingt die 60 Kilometer Bergstrecke von Myawaddy nach Kawkareik unter die Räder nehmen. Schmal, staubig, kurvenreich, streckenweise steil, oft mehr Schotterpiste als Strasse und wegen der vielen Löcher und Steine nur im Schneckentempo zu treten, windet sich das Strässchen auf 870 m ü.M. hoch. Kein Witz, wir sind wirklich auf einer Hauptverbindungsstrasse nach der grössten Stadt Myanmar’s, Yangon, früher Rangun (4,5 Mio Einwohner) unterwegs.
Abwärts nach Kawkareik wird’s noch übler. Wir wühlen uns schwitzend durch Dreck und Staub, hoffen das Schlimmste bald hinter uns zu haben und werden wenig später von den überholenden Lastwagen erst richtig zugeschüttet und in stinkende Abgaswolken gehüllt. Das wiederholt sich laufend bis zum nächsten Stau. Ein Sattelschlepper hat diesmal mitten in der Kurve – wie könnte es anders sein – eine Panne. Schreiend und gestikulierend werden Autos, Busse und Lastwagen um das Hindernis dirigiert. Vorwärts, rückwärts, das Steuer voll einschlagen, wenige Zentimeter bleiben. Wir mittendrin. Nahe am Geschehen breitet sich ein kleiner Waldbrand aus, wütend schlagen die Flammen am Strassenrand hoch; egal, es stinkt und staubt sowieso schon zum Himmel. Die Fahrt ist ein Erlebnis, trotz der Hindernisse! 2019 soll die neue Strasse fertig sein, für uns Velofahrer sicher keine attraktive Alternative.
Bis Hpa-An bleibt die Strasse schlecht, d.h. schmal und sehr bucklig, was das Velofahren zum Ritt auf einem bockigen Pferd macht. Eine Massage wäre ab und zu sehr willkommen, aber das geht doch zu weit.
Landschaftlich ist die weite Ebene, die sich vor uns auftut, der Hammer. Lichter Wald, immer wieder Reis- und Maniokfelder, kleine Flüsse, Grasland. Ziegen, Kühe und Wasserbüffel grasen neben der Strasse, behindern auch mal den mässigen Verkehr. Erst nach und nach geht uns auf, was das Radfahren so angenehm macht, warum wir uns wohl fühlen: viele Errungenschaften einer modernen Gesellschaft fehlen in den ersten Reisetagen in Myanmar. Strom- und Telefonleitungen z.B. gibt es nicht (Energie aus der Steckdose fliesst nur von 18.00 bis 22.00 Uhr und morgens von 06.00 bis 07.00 Uhr, erzeugt von Dieselaggregaten). Die sehr einfachen Häuser schützen Dächer aus Palmwedel, für die Wände werden grosse Baumblätter ineinander geflochten. Gemauerte Bauten sind auf dem Land selten, Industriebauten fehlen gänzlich. Einzig Bier- und Whiskyreklame ist häufig, dient auch mal als Windschutz. Die kleinen Siedlungen werden meist von mächtigen Baumkronen überspannt, was den Eindruck von Geborgenheit vermittelt. Radfahrer gehören zum Strassenbild ebenso wie immer überladene Jeepney’s und Tuck-Tuck’s. Ja, Hunde gibt es auch. Sie sind aber Zweiräder gewohnt und beachten uns kaum.
Myanmar
Schiebt man das Fahrrad über die Frindship-Bridge von Mae Sot in Thailand nach Myawaddy in Myanmar, fahren ist nicht erlaubt, betritt man eine andere Welt. Uns jedenfalls ging es so. Die Zollabfertigung geht überraschend einfach und unkompliziert; wir wähnen uns eher im heruntergekommenen Büro einer Firma als in einer Amtsstube. Im engen düsteren Nebenraum hacken Uniformierte an alten Computern irgendwelche Daten ins System während uns ein junger Bursche in T-Shirt und Sandalen (ein Beamter?) pfeifend und singend einen Anmeldezettel zuschiebt und lachend erklärt, dass es mit dem Pedalen nichts wird, weil der Verkehr auf der schmalen schlechten Strasse heute Richtung Thailand rollt. Morgen dann dürfen Autos, Busse, Lastwagen und Velofahrer entgegengesetzt ins Landesinnere holpern. Wir haben von der Regelung gewusst aber nicht herausgefunden, ob Fahrzeuge an geraden oder ungeraden Kalendertagen ins Land fahren dürfen. Was soll’s, wir quartieren uns im einfachen Hotel gleich um die Ecke ein und bestimmen den 17. Februar zum velofreien Tag. Willkommen in Bepitha’s 35. Veloreiseland! Bereits hier an der Grenze bekommen wir einen ersten Vorgeschmack vom einfachen, archaisch anmutenden Myanmar, das Reisende anzieht und begeistert.
Morgen geht’s sehr früh los, bevor sich die Blechlawine hupend, stinkend und in grosse Staubwolken gehüllt wie ein wild gewordener Hornissenschwarm Richtung Yangon ergiesst (wie Reisende berichten).