Bis zur armenischen Grenze sind es noch knapp 80 Kilometer. Am 12. Juni 2014 pedalen wir bei dichtem Verkehr aus der Stadt und freuen uns sehr auf Natur, Zeltnächte und vor allem mehr Ruhe nach den lauten Wochen in Tiflis. Am Stadtrand kommt uns David aus Düsseldorf auf seinem Rad entgegen. Er ist in Teheran gestartet und schwärmt von der armenischen Seidenstrasse. Wenig später überholt uns ein japanischens Pärchen, das ebenfalls in den Iran will, allerdings durch Asarbaidschan und via Fähre über das Kaspische Meer. Mehr als eine Woche lang bleibt das die letzte Begegnung mit Tourenradlern.
Kurz vor der Grenze fragen wir bei einem Restaurant drei Typen, Armenier, wie wir später erfahren, ob zelten auf dem Hügel hinter dem Haus möglich sei. Mit Gesten geben sie zu verstehen, wir sollen uns erst mal zu ihnen setzten. Nach einigem Wodka auf nüchternen Magen gelingt der Zeltaufbau trotzdem fix und selten hat die untergehende Sonne so viel Gold auf Hügel gestreut, wie heute Abend. Finden wir jedenfalls.
Georgien war sehr schön. Wir haben einmal mehr grosse Gastfreundschaft geniessen dürfen und Bekanntschaften gemacht, wie wir sie nur als Velofahrer erleben können.
Endlich haben wir das Visum für den Iran im Pass! Wir freuen uns auf Armenien und hoffen in etwa zehn Tagen die iranische Grenze zu erreichen. Knapp 1600 Kilometer und einige Pässe liegen bis Teheran vor uns. Morgen Donnerstag verlassen wir Tiflis.
Tiflis
Wir lernen die 1600 Jahre alte Hauptstadt Georgiens von verschiedenen Seiten kennen, auf jeden Fall fast immer zu Fuss. Ungefähr ein Viertel aller Georgier leben hier, also eine gute Million. Auf langen 21 Kilometern erstreckt sich die Metropole beidseits der Kura, so, als wollte die Stadt den grüngrauen Fluss nicht loslassen. Tiflis liegt zwischen 380 und 730 m ü.M in einem seismisch aktiven Gebiet, das der Stadt im Lauf der Geschichte immer wieder Erdbeben beschert hat, das letzte schwere am 25. Mai 2002 mit mehr als 10´000 beschädigten Gebäuden.
Nie vorher haben wir so viele Sterne gesehen – nicht am Himmel, sondern auf der Strasse. Überhaupt stehen deutsche Nobelmarken ganz hoch im Kurs. Zugegeben, nicht alle sehen noch nobel aus, das tut dem Status (nota bene bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von ca. 350 $) aber keinen Abbruch.
Gefahren wird wie auf dem Land, schnell, manchmal rücksichtslos, die Hand nie weit von der Hupe. Ist keine Fussgängerunterführung in der Nähe, hilft nur ein Sprint über die vierspurige Strasse. Typisch auch, dass Fussgängerampeln lediglich 12 Sekunden grün anzeigen. Andere Länder, andere Sitten. So bleiben wir fit.
Uns gefällt die Stadt, ja sie hat sich zur eigentlichen Problemlöserin für uns gemausert. Der Laptop läuft wieder, Bea hat endlich einen Stecker für das Philippinen-Handy gefunden und mit dem Visum für den Iran sollte es nach einer langen Bearbeitungszeit ebenfalls klappen. Zum grossen Glück ist unsere Bleibe in der Altstadt günstig und gemütlich, unser Vermieter, Mr „no problem“ - wir nennen ihn so, weil er für all unsere Wünsche eine Lösung hat - ist sehr hilfsbereit und zu Fuss sind wir rasch mitten im Zentrum. Es kommt noch besser.
Im Grossen Kaukasus
Bei der Suche nach unserer Unterkunft, es ist bereits halb Zehn und das Herumirren zerrt an den Nerven, lernen wir Qeti und ihren Partner Gela kennen. Sie legen sich für uns mächtig ins Zeug und weil sich Qeti freut, Schweizern helfen zu können, plant sie spontan einen Ausflug für Übermorgen in den Grossen Kaukasus. Super, wir sind dabei! Mindestens vierzehn Tage dürfen (müssen) wir wegen des Visums in Tiflis bleiben, wir haben also jede Menge Zeit. Mit einem Marschrutki, einem Kleinbus, geht’s zuerst leicht ansteigend in rassigem Tempo einem Stausee entlang, um dann in Serpentinen zum Wintersportort Gauduri und über den 2379 Meter hohen Jvaripass in ein weites Tal zu gelangen. In Kazbegi (früher Stepanzminda), nur fünf Kilometer vor der russischen Grenze und nach gut zwei Stunden Fahrt durch Hochtäler, flankiert von verschneiten Kaukasusgipfeln, sind wir am Ziel. Leider versteckt sich der zweithöchste Berg Georgiens, der Kasbek (5047 m) den ganzen Tag hinter Wolken. Soll er doch. Auch ohne den höchsten im Blickfeld, die schroffen Gipfel um uns herum beeindrucken, laden zum Wandern und Bergsteigen ein. Ganz besonders freuen wir uns an den vielen Blumen auf den weiten Alpweiden beim schweisstreibenden Anstieg zur Gergeti Trinity Church. Die Kirche aus dem 14 Jh. auf 2100 m ü.M. ist ein wichtiger Wallfahrtsort und ein noch beliebteres Touristenziel. Herrlich! Danke, Qeti und Gela, für den tollen Ausflug, den wir ohne euch nicht unternommen hätten.
Das älteste Weinanbaugebiet der Welt
Dass es in Georgien – übrigens eines der ältesten christlichen Länder, schon 337 wurde das Christentum Staatsreligion - grosse Weinanbaugebiete gibt, weiss man bei uns allenfalls vom Hörensagen. Möglicherweise seit 8000 Jahren werden Reben kultiviert, mehr als 500 verschiedene Traubensorten sollen es aktuell sein. Leider gibt es die dunkelroten, schweren vollmundigen Tropfen und die spritzigen Weissen in Europa nur selten im Glas. Wir holen das Versäumte ausgiebig nach und geniessen uns quer durch das Sortiment. Wenn schon eine Velopause, dann darf wenigstens das Kulinarische nicht zu kurz kommen. Die Küche ist übrigens eher deftig.
Schaschlikspiesse vom Grill; das Nationalgericht Khinkali, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, die mit einer speziellen Technik von Hand gegessen werden; Khachapuri, georgisches Käsebrot, auch als georgische Pizza bekannt . . . und dazu ein gutes Glas Wein oder süffiges regionales Bier. Wir werden die Kalorien später abstrampeln.
Kutaisi, Debi Ishkhnelebi Street 28, Gesthouse Nona (booking.com), herzlicher Empfang, Nona spricht gut Deutsch.
Tiflis, Askana Street 1/2, Hope Guesthouse, hopemyhouse@gmail.com, ideal für Radfahrer, Vermieter spricht etwas Englisch.
Ausflüge ab Tiflis:
Kazbegi, Gergeti Trinity Church, Mt. Kazbegi, 5047 m, ca. 2 Std. nördlich mit Marschrutki ab Tiflis, 20 Lari hin und zurück, ca. 2 Std. Aufstieg zur Trinity Church.
Sighnaghi, ca. 110 km östlich, mit Marschrutki, 12 Lari hin und zurück (unbedingt Rückfahrtticket buchen bei Ankunft!), Weinanbaugebiet, grossartiger Ausblick auf das Alazanital.
Unbekanntes Georgien
Nach einer Woche anstrengender Tour erreichen wir müde, aber wohlbehalten am 24. Mai 2014 die georgische Hauptstadt Tiflis. Zwei Tage Regen, enorm starker, böiger Gegenwind, viele Höhenmeter und zwei Hundertkilometer-Tagesetappen haben uns alles abverlangt. Die Georgier begegnen uns neugierig, hilfsbereit aber zurückhaltender als die Türken.
Ein spezielles Thema ist der Strassenverkehr, vor allem auf der Hauptachse Batumi - Tiflis. Sitzen sie im Auto, werden Georgier zu Wilden, die nichts aufhalten kann. Sie rasen, überholen halsbrecherisch und hupen alle aus dem Weg, die weniger PS haben. Einem Fahrrad mal den Vortritt lassen? Kommt gar nicht in Frage. Wir gewöhnen uns nicht wirklich daran. Immer aufmerksam fahren und den Verkehr hinten und vorn im Blick behalten, heisst die Devise.
Atemberaubend erleben wir die Natur. Die weiten Hochebenen im Kaukasus leuchten rot in allen Variationen. Riesige Flächen Mohnblumen wechseln sich mit weissen Teppichen aus Margeriten ab. Dazwischen blaue Lupinen und blühende Rapsfelder. Wir beobachen Schlangen, Schmetterlinge, Greifvögel und einen Fuchs direkt neben der Strasse. Von Kutaisi bis Tiflis fahren wir auf einer kleinen Nebenstrasse durch Bauerndörfer und geniessen es, fast keinem Verkehr ausweichen zu müssen.