Nicaragua
Nicaragua verursacht uns seit einigen Wochen leichtes Bauchweh, nicht weil wir an schlechtes Essen denken, sondern weil Demonstrationen und Unruhen das Land ins Chaos zu stürzen drohen und wir von El Salvador irgendwie durch Nicaragua nach Costa Rica kommen müssen. Die Sicherheitslage ist angespannt, seit April gab es mehr als 300 Todesopfer; das Schweizer Auswärtige Amt empfiehlt nur absolut nötige Reisen im Land zu unternehmen und unterstreicht, dass die Schweizer Botschaft bei Problemen kaum oder gar nicht helfen kann. Wer sucht, findet auf dem Internet jede Menge Infos und Warnungen zu den Ländern in Mittelamerika, die das Reisen so richtig vergällen können.
Vielleicht doch besser gleich mit dem Flieger nach Costa Rica? Heitere Aussichten . . .
Einmal mehr heisst es für uns „es wird nichts so heiss gegessen wie es gekocht wird“. Wir hören von anderen Radfahrern, dass sie ohne Probleme durch Nicaragua gefahren sind, ja sogar ein Abstecher in die Hauptstadt Managua war problemlos.
Also los, das Bauchgefühl ist gut; wir lassen uns nicht von Horrorgeschichten abhalten, nicht nach fast sechs Jahren problemlosem Veloreisen rund um die Welt. Zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, das kann überall auf der Welt zum Problem werden.
Die sattgrüne, hügelige Landschaft gefällt. Für die gepflegten Grasflächen zwischen den mächtigen Bäumen entlang der Strasse sorgen Kuhherden und Pferde, die hier frei weiden. Fast idyllisch, wenn da nicht immer wieder hässlich stinkende Müllhaufen das Bild stören würden. Kaum Verkehr und gute Strassen lassen uns das Pedalen geniessen. In Léon mieten wir uns für drei Nächte im gemütlichen Hostal Casa de Los Berrios mit herrlich grünem Innenhof ein. Wir bleiben die einzigen Gäste. Mit der Ruhe ist es allerdings nicht weit her. Zum jährlichen Stadtfest zu Ehren der Schutzpatronin von Léon gehören heftige Böllerschüsse während zweier Nächte. Schön regelmässig, nachdem man gerade wieder eingeschlafen ist, versteht sich. Dass es in den Beizen rund um die schöne Kathedrale am Samstag- und Sonntagabend keinen Alkohol gibt, ist kurios (und geschäftsschädigend), passt aber irgendwie. Die lichtumkränzte „Maria de mercede“ über dem Portal wacht über ihre Schäfchen, wenigstens in ihrem Blickfeld; was in den lauten Bars in den Seitengassen läuft, dafür ist sie nicht mehr zuständig.
In der Innenstadt verlieren sich die anderen vier Touris, die wir sehen, völlig. Unsere Wirtin beklagt bitter, dass der Tourismus fast völlig zum Erliegen gekommen sei, viele Hotels hätten grosse Probleme, nicht wenige seien geschlossen (was wir selber sehen). Sie tut uns echt leid.
Kurz vor Managua treffen wir einen jungen Spanier der in Guatemala lebt. Für ihn ist Nicaragua das schönste Veloland Mittelamerikas. Wird für uns schwierig.
Der Menschenschlag in Nicaragua unterscheidet sich doch deutlich von denen der vorherigen Länder, wie wir meinen. Die Nicaraguaner erleben wir oft als verschlossen, in Läden und Hotels mehrmals mürrisch, ja unfreundlich. Gegrüsst wird knapp, kaum je Fragen nach dem Woher und Wohin, keiner wünscht mehr beim Vorbeigehen „buen provecho“, wenn wir essen, hupen oder unverbindlich von weitem etwas zurufen geht, uns gegenüber verhalten sie sich wie Fische in der Tiefsee, machen grosse Augen und sind völlig stumm. Die Offenheit und Freundlichkeit der Guatemalteken und Salvadorianer fehlt uns sehr. Ich (Pit) weiss noch nicht so recht, was ich von Nicaragua halten soll.
Selten vorher waren wir in einem Land so hin und her gerissen wie jetzt in Nicaragua. Wir wünschen den Menschen sehr, dass sich ihre Lebenssituation zum Guten verbessert.
Wir haben ein Souvenir in Form einer heftigen Magen-Darmverstimmung von El Salvador mitgenommen. Zuerst rennt Pit und gibt dann drei Tage später Bea die Klinke in die Hand. Seit Bolivien hat es uns nicht mehr so heftig erwischt. Der Salat? Das Wasser? Weiss der Teufel was. Nach vier Tagen kehrt endlich Ruhe ein, wir freuen uns wieder aufs Velofahren ohne Hintergedanken.
Nach Managua heisst es erst mal klettern. Kein Problem, wenn da nicht kilometerlange Baustellen abwechselnd mit Staub und schmieriger Piste das Fahren zur Tortour machen würden. Ernesto, Magdalena und ihr Sohn nehmen uns ein Stück mit dem Pickup mit. Wir verabschieden uns herzlich mit einer Umarmung und besten Wünschen. Muchas gracias!
Entlang dem Nicaraguasee treffen wir auf einen alten Bekannten, den wir länger nicht mehr gespürt haben, heftigen Wind. Böig versucht er uns von der Strasse zu drängen. Glücklicherweise gibt es kaum Verkehr.
Heute kommen uns etliche Busse mit Polizeibegleitung entgegen, die den Fahnen nach, die aus den Fenstern geschwenkt werden, Demonstranten der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN), einer politisch links orientieren Partei, hervorgegangen aus der gleichnamigen Guerilla-organisation, Richtung Hauptstadt Managua bringen.
Entlang eines grossen Windparks kommt die Grenze zu Costa Rica in Sicht, Lastwagen an Lastwagen reihen sich über Kilometer bis zum Zoll. Manche warten bestimmt einen halben Tag, bis sie abgefertigt werden. Zeit hat hier eine andere Bedeutung als in Europa, man hat sie einfach.
Nicaragua liegt hinter uns. Wir hatten keinerlei Schwierigkeiten beim Reisen, bedauern im Grunde, dass wir das schöne Land nicht intensiver erfahren konnten.