Rodrigues - näher am Paradies

Rodrigues - näher am Paradies

Wir können alle Weltentdecker verstehen, die in kurzer Zeit am winzigen Eiland Rodrigues, von dem kaum jemand je etwas gehört hat, den Narren gefressen haben. Auf der 18 x 8 Kilometer messenden vulkanischen Insel (109 km2, knapp so gross wie der Vierwaldstättersee) leben 42'000 überwiegend afrikastämmige Einwohner ein beschlauliches Leben, 650 km östlich von Mauritius, mitten im Tiefblau des Indischen Ozeans, weitab der Alltagshektik grosser Städte und Seehäfen. So jedenfalls der erste Eindruck. 

In Wahrheit sind die Probleme gravierend. Rodrigues ist stark überbevölkert und leidet an schweren, wahrscheinlich irreversiblen ökologischen Schäden und an akutem Wassermangel. Der Export von Fleisch nach Mauritius war bis vor kurzem noch die wichtigste Einnahmequelle der Wirtschaft. Weitere wichtige Exportgüter waren (gesalzener) Fisch und Tabak. Ein weiteres wirtschaftliches Standbein der Menschen auf Rodrigues ist der Fang und Handel von Tintenfisch. Obwohl zu Mauritius gehörend, besitzt die Insel autonome Rechte mit eigener Regionalversammlung. 

Blick vom höchsten Punkt der Insel, 390 m ü.M.
Blick vom höchsten Punkt der Insel, 390 m ü.M.

Umgangssprache ist Rodriguais, ein französisches Kreolisch. Weil die Einwohner Französisch und oft etwas Englich sprechen, verhaspeln wir uns leicht in einer Melange beider Sprachen, was dann wie ein Schweizer Kreolisch :) tönt. Ja, wir lachen viel mit den offenen, lebenslustigen und hilfsbereiten Rodriger. In der Strandkneipe begrüsst uns der Wirt am dritten Abend wie alte Bekannte. Wir fühlen uns willkommen.

Früher war die Insel von dichten Regenwäldern bedeckt, die fast völlig abgeholzt wurden. Erosion und Wassermangel sind die Folge, weshalb in den 1980ern mit Wiederaufforstungen begonnen wurde. (teilweise aus Wikipedia übernommen)

Kann ein Tag schöner beginnen? Blick über die Bucht vor Port Mathurin, dem Hauptort der Insel.
Kann ein Tag schöner beginnen? Blick über die Bucht vor Port Mathurin, dem Hauptort der Insel.
Die Früchte der Pandanus utilis, der gemeinen Screwpine, kann man gekocht essen.
Die Früchte der Pandanus utilis, der gemeinen Screwpine, kann man gekocht essen.

Aus dem Flugzeug wirkt die Insel ohne hohe Berge wie das Eidotter eines Spiegeleis, umgeben von weit in den Indischen Ozean greifenden Korallenriffen. Sagenhaft schön die verschiedenen Blautöne des Meeres, wie sie kein Maler mischen könnte. Wer da nicht ins Träumen kommt . . .

Mit fünfzig Nasen war die Propellermaschine nur zur Hälfte besetzt. Wir sind vermutlich die einzigen Touristen aus Europa. Nicht wenige Einheimische greifen zu warmen Jacken, manche ziehen ihre Zipfelmützen tief über die Ohren. 20 bis 23 Grad tagsüber, mehr Wärme lässt sich auf dem Thermometer nicht ablesen, Winter eben, wie unser Taxifahrer grinsend meint. Während der ganzen Woche bläst uns der kühle Wind den Marsch, an Schnorchel lässt sich nicht denken. Der Bootsausflug auf die malerische Ile aux Cocos fällt den hohen Wellen zum Opfer. Dafür ist das Wandern entlang der einsamen Nordostküste ein selten erlebter Leckerbissen! Der Pfad rückt nah ans Wasser, ab und zu tauchen wir in lichten Wald ein. Mächtige Brecher nagen an den Felsen, weil hier kein Korallenriff schützt. Doch, der rodrigische Winter gefällt uns sehr! 

Etwas verloren stehen zwei Schweizer am neuen, kleinen Flughafen herum. Keine Spur von unserem Vermieter, der uns abholen sollte. Einer der Taxifahrer bietet seine Hilfe an. Offenbar kennt hier jeder jeden. Fabien hat unsere Ankuftszeit auf Rodrigues mit der Abflugzeit auf Mauritius verwechselt. Was soll's, nach einer guten halben Stunde Fahrzeit im klapprigen Pickup quer über die ganze Insel werden wir herzliche begrüsst. Dass unsere Unterkunft an einem völlig anderen Ort liegt, als auf der Buchungsplattform angegeben, bleibt eine Randnotiz.

 

Vermieter Fabien erweist sich als absoluter Glücksfall. Wir bekommen jede Hilfe und ein tolles Appartement mit hammermässiger Sicht auf die Küste vor Port Maturin. Er vermittelt uns von einem Freund einen kleinen Renault, mit dem die Insel einfacher zu erkunden ist. Übel bleiben jeweils die letzten vierhundert Meter Bachbett-Strasse zum Haus. Ja nicht auf die grossen Steine knallen! Afrika-Fahrtraining vor der Haustüre. Weil Fabien weiss, dass wir gerne Schnorcheln würden, kauft er gleich noch zwei Taucherbrillen mit Schnorchel auf seine Rechnung. Noch Wünsche?

Letzten Samstag durften Insulaner und Touris endlich die lästige Mund-Nasenmaske entsorgen! Lachende Gesichter im Original! Wie sehr freuen wir uns mit den Einheimischen.

Auf Rodrigues gibt es von vielem nur wenig, zum Beispiel Süsswasser (keinesfalls vom Hahnen trinken, immer Wasser sparen). Es gibt auf der Insel vier Tankstellen, zwei Bäckereien und ein Spital in Port Mathurin (ca. 5'000 Einw.), zwei Supermärkte (eigentlich Lagerhallen, ziemlich eng, chaotisch, ohne Brot, Früchte und Gemüse im Angebot), nur wenige Restaurants, eine Poststelle, einen Wochenmarkt und ausserhalb der Ortschaften so gut wie keinen Verkehr. Überhaupt waren wir auf der Strasse schon lange nicht mehr so gemütlich unterwegs. Kein Hupen, kein unsinniges Rasen, selbst die Busfahrer lassen sich Zeit, was auch an den teilweise sehr steilen Strassen (mit tollem Belag!) und fehlenden Fahrplänen liegen mag.

Auf Rodrigues gehen die Uhren langsamer. Wir wähnen uns in einer Welt, die es so eigentlich nicht mehr gibt, die uns aber von Anfang an fesselt. 

Ganz nach unserem Geschmack ist das „Réserve naturelle de Grande Montagne“, nahe des höchsten Punktes auf der Insel, dem Mont Limon, 389 m ü.M. Das 20 Hektar grosse Naturreservat kann nur mit Guide besucht werden, was absolut Sinn macht. Wir sind – einmal mehr – die einzigen Gäste. Im Park werden alle invasiven Pflanzen (durch den Menschen eingeschleppt) entfernt, um Platz für die vielen endemischen Arten (Pflanzen, die nur auf Rodrigues vorkommen) zu schaffen, die teilweise aus Samen gezogen werden. Eine Riesenarbeit, aber enorm wichtig für die Insel, soll doch wenigstens ein Teil der ursprünglichen Vegetation und Fauna gerettet werden. Leider sind z.B. Schildkrötenarten, Papageien, der Rodrigues-Solitär, ein grosser Laufvogel und andere Tiere unwiederbringlich ausgerottet worden. 

 

Unser Guide meint, dass Rodrigues sich nicht für Massentourismus sondern für Ökotourismus entscheiden sollte. Qualität statt Quantität. Wir hoffen mit ihm. Der Abschied von der einsamen Insel fällt uns nach einer Woche geniessen schwer.


Mauritius, wir kommen!
Mauritius, wir kommen!

Mauritius - Stern und Schlüssel des Indischen Ozeans

Ein kleiner Airbus-Hüpfer von einer Dreiviertelstunde trennt das französische La Réunion von der ebenfalls zur Inselgruppe der Maskarenen zählenden Nachbarinsel Mauritius, unserem nächsten Reiseziel. 

Bis zur winzigen Nachbarinsel Rodrigues, gut 600 km östlicher im Indischen Ozean und zu Mauritius gehördend, dauert der Flug eineinhalb Stunden. Auf der Karte ist die Stecknadel mitten im weiten Blau kaum zu finden. Den Abstecher lassen wir uns nicht entgehen! Lange 37 Stunden würde der Trip mit der Fähre dauern. Na ja, bei aller Freude am Meer doch etwas zu lang für uns. Mal sehen, was möglich ist.

Mystisch, die blühenden Zuckerrohrfelder.
Mystisch, die blühenden Zuckerrohrfelder.
Mauritiusfalke, von dem es 1974 nur noch 6(!) Exemplare gab, gilt nach wir vor als sehr bedrohte Art.
Mauritiusfalke, von dem es 1974 nur noch 6(!) Exemplare gab, gilt nach wir vor als sehr bedrohte Art.

Seit 1992 eine Republik, ist Mauritius 500 km2 kleiner als ihre französische Nachbarin La Réunion und vor allem als Bade- und Honeymooninsel bekannt, was dem Stern im Indischen Ozean nur teilweise gerecht wird, wie wir meinen. Mauritiu's Wahlspruch: Stella Clavisque Maris Indici („Stern und Schlüssel des Indischen Ozeans“) sagt viel über das Juwel aus.

Schnell wird klar, dass auch hier ohne Mietwagen kein Blumentopf zu gewinnen ist. Nach drei Tagen Linksverkehr verwechsle ich den Blinker (rechts) nur mehr selten mit der Scheibenwischerbedienung (links). Die lästigen Bremsschwellen bei Fussgängerstreifen zwingen mich kaum noch zum brüsken Abbremsen, weil ich sie zu spät sehe. Dass auf Mauritius mitten auf der Strasse parkiert wird, ausgezogene Mittellinien lediglich Strassenschmuck sind und Zweiräder (Velos wie Motorräder) nachts unvermittelt ohne Licht auftauchen, daran gewöhnt sich der korrekt fahrende Mitteleuropäer rasch. Besser kurz nach links ausscheren um einheimische Drängler vorbei zu lassen, als riskante Überholmanöver zu provozieren. Trotzdem, uns gefällt Mauritius mit seinen verschiedenen Ethnien, den weiten Sandstränden, dem klaren Wasser und dem üppigen Grün der Nationalparks.

Nicht nur der Linksverkehr erinnert an Indien, auch die Bevölkerung hier im Südosten der Insel samt Strassenhunden. Immer wieder schieben sich prächtig bemalte und mit religiösen Figuren verzierte Hindutempel wie Kulissen ins Landschaftsbild. Exclusive Geschäfte mit feinen Saristoffen und indische Restaurants gibt es ebenso wie Strassenhändler, die Knoblauch und Zwiebeln für wenige Mauritius-Rupien verkaufen. Wer sich auf seine Nase verlässt, findet in den Städten einfache Garküchen, die leckere Currys und chinesische Nudeleintöpfe anbieten. Beim Hinschauen und abseits der Sandstrände und teuren Hotels Herumkurven, erleben Neugierige ein anderes, einfaches Mauritius. Manche Touris werden pro Tag so viele Rupien ausgeben, wie ein Arbeiter im Monat verdient.

Mauritius aus dem Reiseprospekt.
Mauritius aus dem Reiseprospekt.

Wenn sich zwischen Französisch und Englisch unvermittelt berndeutsche Wörter einschleichen, werden wir hellhörig. Jeannette und Tinu reisen seit vielen Jahren, sind gerade auf dem Weg nach Südafrika, wo in wenigen Wochen ihr Wohnmobil ankommen sollte, das in Bremerhafen nach langem Herumstehen endlich in den Bauch des Frachtschiffes fahren durfte. Wir geniessen die gemeinsamen Abendessen und gemütlichen Nachtstunden mit einer Flasche Wein am Pool. Ein bisschen berner Heimat tut nach Monaten in der Fremde gut (selbst wenn die beiden im Lauf der Jahre halbe Zürcher geworden sind).

Nicht selten macht der Regen den Sonnenhungrigen einen dicken Strich durch die Badetagerechnung. Mit angenehmen 20 bis 25 Grad tagsüber sind wir hier weit weg von europäischen Hitzerekorden, dafür sorgt ebenfalls der kühle Wind. Uns locken die Nationalparks sowieso mehr als die weiten Sandstrände. Trotzdem kommt das Plauschen im azurblauen Wasser nicht zu kurz. Wer das Kommen und Gehen der Vier- und Fünfsterne-Spatouristen am Strand von La Morne geniessen will, kann etwas zürcher Bahnhofstrassenflair geniessen, nur gemütlicher mit den Füssen im warmen Sand und dem Rollen der Brandung in den Ohren. 

Neben Gästen aus Europa, Asien und den USA tummeln sich überraschend viele Russen mit Familien im Wasser. Wenn Mann etwas auf sich hält, geht er nie ohne Drohne an den Strand. Es brummt und flirrt in der Luft, als würden sich ein Dutzend Bienenschwärme gleichzeitig auf uns stürzen. Das Kind im Manne. Sehr speziell und überall auf der Welt anzutreffen.

Die Wanderung im Nationalpark Vallee de Verney, nahe Mahébourg, entpuppt sich als absoluter Leckerbissen. Mehrere Hirschrudel nehmen vor uns reissaus, vorneweg flüchten Affen ins Unterholz. Flughunde kreisen am Himmel und tatsächlich wagt sich einer der seltenen Mauritius-Falken vor die Kameralinse! Der kleine Greifvogel, der nur auf Mauritius vorkommt und von dem es 1974 nur noch 6(!) Exemplare gab, gilt nach wir vor als sehr bedrohte Art. Wir Glückspilze! Einmal mehr!

Am Montag reisen wir für eine Woche nach Rodrigues.