Der Berg mit dem gossen,
heissen Rachen
Wer den Piton des Neiges erklommen hat, wird ganz bestimmt dem anderen Kegel in der Nähe, dem aktiven Vulkan Piton de la Fournaise, in den Feuerrachen schauen wollen. Nach Stunden im Internet, dreimaligem Vorsprechen auf der Touristeninfo und zwei Tagen hoffen, klappt es endlich; wir sind bei der Tour am Freitag dabei. Nicht der Gruppentripp ist der Knackpunkt, sondern die Frage, wie kommen wir ohne eigenes Auto zum Treffpunkt am Krater.
Sabine vom Office de Tourisme lässt alle Beziehungen spielen, schliesslich dürfen wir bei unserer Guide Laurence kurz nach sechs Uhr morgens in Bourg Murat zusteigen. Wir sitzen da bereits seit halb sechs Uhr im Linienbus. (Nach frühsportlichem Fussmarsch um fünf Uhr. Der Taxifahrer wollte für die zwei Kilometer vom Hotel zum Busbahnhof 25 Euro). Merci beaucoup, Sabine et Laurence !
Dutzende Autos belegen schon frühmorgens den grossen Parkplatz, 25 km weiter am Piton de la Fournaise, gebührenfrei. An Wochenenden soll hier der Teufel los sein.
Der Piton de la Fournaise ist ein 2632 m hoher Vulkan, vor 380'000 Jahren an der Südseite des Piton des Neiges aus dem glühenden Erdinnern gewachsen. Er ist einer der aktivsten Vulkane der Erde. Seit 1950 wurden 47 Eruptionen registriert, die jedoch relativ ungefährlich sind. Dünnflüssige Lava fliesst aus und bahnt sich ihren Weg Richtung Meer, grössere Gas-Explosionen gibt es dabei nicht. Im Jahr 2018 gab es mehrere Ausbrüche an der Nordflanke. 2019 brach der Vulkan fünfmal aus, 2021 zweimal. (aus Wikipedia) Die Ausmasse der Krater beeindrucken. Misst der alte, grosse Kraterring ca. 9,5 km im Durchmesser, sind es beim inneren immer noch 1 km. Der Weg zum Kraterrand führt durch scharfkantige Lavaflüsse von 2018, die den Schuhsolen zusetzen. Immerhin eignen sich unsere Trekkingschuhe besser für die Tour, als die leichten Turnschuhe der meisten Wanderer. Kurz vor Tourende stielt ein Nudist dem Feuerberg die Show. Mitten in einem schwarzen Lavafeld beschwört der bleichhäutige Nackte den Himmel und verliert dabei fast das Gleichgewicht, was von uns Bekleideten mit schadenfrohem Grinsen quittiert wird. Es gibt eben nichts, was es nicht gibt. Selbst auf einer kleinen Insel mitten im Indischen Ozean nicht.
Im Cirque de Salazie
Auf der Insel machen sich drei grosse Landschafts-Zirkusse den Vorrang streitig. Die einfachen Holzhäuser der Bergdörfer Cilaos und Salazie liegen hingestreut auf kleinen Hochebenen wie in Arenen, geschützt von schroffen Bergketten und tiefen Schluchten. La Nouvelle, die grösste Siedlung im Talkessel von Mafate und die übrigen Weiler sind nur zu Fuss oder mit dem Hubschrauber erreichbar, was den Cirque de Mafate zum bekanntesten (und anspruchsvollsten) Wanderparadies auf La Réunion macht.
Wir können uns gut vorstellen, dass die abgelegenen Hüttensiedlungen den einst an der Küste entflohenen Sklaven eine sichere Zuflucht boten.
Nach einer landschaftlich grandiosen Fahrt quer über die Insel und zweimaligem Buswechsel schliessen wir Hell-Bourg, als „Plus beaux villages de France“, als eines der schönsten Dörfer Frankreichs klassiert, gleich ins Herz. Beschaulich-gemütlich, ohne teure Sterne-Hotels, ohne stinkenden Durchgangsverkehr und Massentourismus, dafür schmucke Holzhäuser im creolischen Stil, gemütliche Restaurants und garantierte Nachtruhe. Was wünschen sich Rentner mehr, die die Hälfte der Besucher ausmachen? Passt auch für zwei Schweizer (AHVler).
Die Wanderungen rund um Hell-Bourg bleiben für uns anspruchsvoll. Einige steile Trampelpfade nehmen den Regen, der seit zwei Tagen pünktlich Mitte Nachmittag einsetzt, willig als Ersatzbachbett auf. Wer nicht konzentriert absteigt, fällt irgendwann auf die Nase. Dafür ergattern wir ein gemütliches Appartement mit einfacher Kochgelegenheit. Reicht zumindest für das Morgenessen.
Und ja, seit ein paar Tagen dürfen wir in einem Suzuki Platz nehmen!Valentine und Amerique, die mit uns vor fünf Jahren die Lagunenroute in Bolivien mit dem Velo eroberten und die auf La Réunion wohnen, haben uns den Kleinwagen für die restliche Zeit auf der Insel überlassen. Einmal mehr dürfen wir, wie schon so oft in den letzten Reisejahren, selbstlose Grosszügigkeit geniessen. Merci beaucoup, Valentine et Rico! Geniesst die Elternzeit mit Sacha (3), und Maurice (2 Mt.)!
La Réunion,
Insel der Haie
Neben schweisstreibenden
900 Kilometern markierten Wanderwegen können Sonnenhungrige entlang der West- und Nordküste weisse und schwarze Sandstrände geniessen und im 25 Grad warmen Wasser plauschen. Zumindest dort, wo
Baden erlaubt ist. Das eine tun und das andere nicht lassen gilt für uns besonders. Die Wanderschuhe gegen Sandalen tauschen, dazu müssen wir uns nicht überreden. Die feucht-heissen Temperaturen
dämpfen unseren Bewegungsdrang. Nase und Arme mit Sonnencrème einschmieren und lieber im Schatten bleiben; unser bleicher Schweizer Winterteint muss sich erst an die erbarmungslos brennende Sonne
gewöhnen.
Die meisten Strände sind durch ein breites Saumriff von der gigantischen Brandung des Indischen Ozeans geschützt (hier, in Saint-Pierre, donnern momentan bis vier Meter hohe Brecher an die Hafenmole). Die Flachwasserzone hinter dem Riff bietet Schutz vor gefrässigen Fischen. Tatsächlich haben Angriffe von Bullen- und Tigerhaien an der Westküste auf Surfer und Schnorchler seit zehn Jahren unverhältnismässig zugenommen, über die Gründe spekulieren die Fachleute nach wie vor.
So richtig entspannt werden die ersten Badeversuche nicht. Bea lässt mir den Vortritt. An der Wassertemperatur kann es nicht liegen. Hauptsache die rote Warnflagge erscheint nicht am Mast (wie ich mich ab und zu vergewissere). Oder die Fische mit den scharfen Zähnen haben heute keinen Appetit.
Als Europäer sind wir auf der Insel in der Minderheit. Auf der Touristenhomepage ist zu lesen:
La Réunion als Schmelztiegel der Kulturen: die Insel vereint europäische, madagassische, indische, asiatische und afrikanische Einflüsse und ist ein gutes Beispiel für ein harmonisches
Zusammenleben. Mit ihren tausend Gesichtern ist La Réunion reich an dieser einmaligen Mischkultur, die sich in der Religion, der Kultur und der Kunst, aber auch in der Kochkunst des Landes
widerspiegelt.
Wir erleben die Réunionnais als fröhliche, hilfsbereite Menschen, immer für einen kurzen Schwatz zu haben und stolz auf ihre Insel mit ihren Naturschönheiten. Die Einheimischen sprechen neben der einzigen Amtssprache Französisch Kréol, für uns ein unverständliches Kauderwelsch aus Französisch, Malagasy, Hindi, Portugiesisch, Gujarati und Tamil. Ebenso unterschiedlich werden natürlich die Religionen gelebt.
Wir fühlen uns sehr wohl inmitten dieses Vielvölkergemischs, das augenscheinlich gut miteinander auskommt. Es ist für uns ein ganz anderes Frankreich, als auf dem Kontinent erlebt.
Stairway to heaven
Diese Himmelstreppe gibt es tatsächlich in Cilaos (5'500 Einw., 1'250 m ü.M.), im Inselinneren. Davon später.
Ab Saint-Louis an der Küste reihen sich auf 36 Kilometern enger Strasse nach Cilaos 420(!) Kurven aneinander! (Fahrpreis Fr. 1.70 pro Person). Eineinhalb Stunden Schwerarbeit für unseren kleinen Bus und Fingerspitzengefühl für den Fahrer in den drei Tunnels. Mehr als eine Handbreit Platz zur Tunnelwand bleibt beidseitig nicht. Dafür flössen die Tiefblicke gehörig Respekt ein – und lenken wohl so manchen Passagier vom flauen Magen ab, den die vielen Kurven verursachen können.
Wer zwei, drei Wochen La Réunion bereist, mietet selbstverständlich ein Auto oder ist organisiert unterwegs. Ohne Auto geht für die Franzosen und die meisten Touris schlicht nichts. Nicht auf dem Kontinent und schon gar nicht hier auf der Insel. Wie wir erfahren, hat der Verkehr in den letzten Jahren grenzwertig zugenommen. Endlose, stinkende Blechkolonnen verstopfen die Dörfer an den Stosszeiten. Für uns war von Anfang an klar, dass wir wenn immer möglich per öV reisen wollen. Jetzt, nach einem Monat Inselleben, sind beinahe alle Bus-Fahrpläne im Internet aufgespürt, die meisten sind sogar aktuell. Im Ernst, es brauchte anfangs viel Geduld und Nerven, öV-Verbindungen von A nach B aufzustöbern. Glücklicherweise haben Busfahrerinnen und -fahrer ein grosses Herz für uns Schweizer Backpacker. Hilfe gibt es immer und man hält schon mal ausserhalb einer Haltestelle an, um uns einsteigen zu lassen.
Etliche schöne Touren sind nur mit einem Auto erreichbar. Wie hinkommen? Wir arbeiten daran.
Kann man machen, muss man aber nicht
Wir bleiben eine Woche im ruhigen Bergdorf Cilaos, geniessen die angenehmen Temperaturen, die kreolische Küche, wandern täglich und nehmen zum Abschluss die Himmelstreppe zum höchsten Berg im Indischen Ozean, dem 3070 m hohen Piton des Neiges, unter die Füsse.
In der Regel wird die Tour auf zwei Tage aufgeteilt, mit Übernachtung im Gîte du Piton des Neiges. Naiv, wer glaubt, kurzfristig zwei Betten in der Berghütte ergattern zu können (die Hauptsaison beginnt erst im Mai). Unterwegs erzählt uns ein französische Ehepaar, dass sie bereits im Dezember gebucht hätten. Und wegen Corona müssen bis Ende Juni(!) vier Betten bezahlt werden (zum Voraus, versteht sich). Und wenn es regnet? Pech für den Berggänger. Auf solche Manöver werden wir uns auch in Zukunft nicht einlassen, dafür ist uns das Spontane zu wichtig. Ihr könnt uns in die (Wander)Schuhe blasen!
Wir steigen vier Stunden sehr steil, über hunderte, teilweise nasse Treppenstufen und einige ausgesetzte Kehren (stolpern verboten) zur Hütte auf und nach einer Rast klettern wir zurück ins Tal. Sieben Stunden konzentriertes Laufen hat uns und die Knie geschafft. Wir sind froh, den Bus zurück zum Hotel noch zu erwischen. Die Tour ist speziell, man muss sie aber nicht machen, finden wir. Bis auf wenige Stellen wandert man im dichten Unterholz, Weitblicke bleiben rar. Nicht wirklich unser Ding.
Exotische Perlen im Indischen Ozean
Seit dem 1. April sind wir erneut unterwegs. Nach mehr als neun Jahren reisen dürfen unsere zuverlässigen Stahlrösser weiterhin Pausenmonate in der Schweiz geniessen. Ja, es ist schier unglaublich, aber wir haben tatsächlich unsere Radtaschen gegen Reiserucksäcke getauscht! Es ist einen Versuch wert, Backpacker-Luft zu schnuppern, wenigstens für eine begrenzte Zeit.
Nach Tagen mit Formularen ausfüllen (phuu, in Französisch!), Coronatest erledigen und hoffen, keine Formalitäten vergessen und die aktuellsten Informationen im dichten Urwald des Internets aufgespürt zu haben, sitzen wir – endlich – im Airbus 380-1000. Das Grummeln im Bauch lässt nach.
Elf Nachtstunden und zwei Gläser Bordeaux später hauen uns die 24 Grad Temperaturunterschied beinahe aus den Socken. Die warmen Steppjacken verkommt zum Witz. Wie prickelnd war die Vorfreude; jetzt tauchen wir in ein wenig bekanntes, exotisches Frankreich ein.
La Réunion nennt sich die Perle im Indischen Ozean heute, früher Île Bourbon, unter Napoleon Île Bonaparte. Die Insel gehört mit dem nahen Mauritius und Rodrigues zu den Maskarenen, 2500 km2 klein, mit ca. 860'000 Einwohnern, überwiegend Kreolen (mehr dazu später).
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